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Archiv-Artikel

Im Osten boomen Privatschulen

Bis zu 25 Prozent der Schulen sind im Osten inzwischen in privater Trägerschaft. Der Wunsch nach individuellem Unterrichten treibt die Schülerzahlen hoch. Und der Staat tut ein Übriges – er schließt kleine Schulen, die Private dann übernehmen

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Das Beispiel ist selbst für sächsische Verhältnisse ungewöhnlich. In Schneeberg versucht ein evangelischer Schulverein mit allen Mitteln, eine staatliche Mittelschule aus einem ihrer Standorte zu verdrängen. So vehement, dass sogar der aus dem Erzgebirge stammende Kultusminister Steffen Flath (CDU) Bedenken hat. Der Schulpolitiker Thomas Colditz aus der CDU-Landtagsfraktion hält das Vorhaben für unnötig.

In den ostdeutschen Bundesländern steigt die Zahl freier Schulen stark an. Im Raum Potsdam besuchen 17 Prozent der Schüler eine freie Schule, in Sachsen haben die Privatschüler einen Anteil 11,4 Prozent. Im Bundesdurchschnitt sind es keine 7 von 100 Kindern, die auf Privatschulen lernen. Im Schulwesen hält der Staat praktisch das Monopol beim Betrieb von Schulen – obwohl das Grundgesetz lediglich vorsieht, dass Schulen „unter der Aufsicht des Staates“ stehen sollen.

In Schneeberg kämpft Jochen Vogel verbissen gegen die, wie er es nennt, evangelische „Ersatzschule“. Vogel ist Vorsitzender eines „Vereins für die Sicherung und Unterstützung schulgeldfreier Bildung“. Er tritt mit zahllosen Briefen und Petitionen der gegen „Bildungsapartheid“ und „soziale Schieflage“ in der sächsischen Bildungspolitik an.

Dabei hat Vogel heimliche Verbündete im sächsischen Kultusministerium. Dort wollte man vor drei Jahren hat per Gesetz weitere Privatschulgründungen erschweren. Insbesondere sollte der „Wildwuchs“ an freien Berufsschulen eingedämmt werden. Sie sind in die vom Dualen System hinterlassene Ausbildungslücke gesprungen, ein Viertel der Berufsschulen sind inzwischen privat. Die CDU-Landtagsfraktion milderte die Restriktionen allerdings ab.

Verhältnis gestört

Dennoch hält der Sprecher des Kultusministeriums das angestrebte gute Miteinander zwischen Staat und freien Schulen für „extrem gestört“. Einerseits liegen in offiziellen Verlautbarungen freie Schulen beispielsweise dem Thüringer Kultusminister Jens Goebel (CDU) „sehr am Herzen“. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) lobt die „Vielfalt der Bildungslandschaft“. Andererseits macht der staatlichen Seite überall die Konkurrenz der Privatschulen zu schaffen.

Für deren steigende Zahl gibt es zunächst die überall anzutreffenden Motive. Misstrauen der Eltern gegen die Qualität staatlicher Schulen, Wunsch nach reformpädagogischen Konzepten und nach besonderer individueller Förderung bis hin zum Eliteanspruch. Hinzu kommt, dass im Osten die Kirchen besonders aktiv sind – sie wollen so aus ihrer Diasporasituation im heidnischen Osten ausbrechen. Das bringt die CDU in Verlegenheit – sie tritt einerseits als Lobby für konfessionelle Schulgründungen auf und will andererseits das sächsische Schulsystem nicht aushöhlen lassen.

Vor allem prägt der Kampf um Schulstandorte im Osten maßgeblich das Verhältnis von staatlichen zu freien Schulen. Infolge der Halbierung der Schülerzahlen ist das Schulnetz zum Reißen dünn geworden, gerade auf dem Lande. Mit Unterstützung kommunaler Schulträger und der Wirtschaft werden an Stelle der geschlossenen staatlichen Schulen oft freie gegründet. Denn sie sind nicht an Mindestschülerzahlen gebunden.

In Sachsen sind 70 Prozent der Neugründungen der vergangenen vier Jahre solche Ersetzungen. Im Ministerium spricht man deshalb schon vom „täglichen Überlebenskampf staatlicher Schulen“ im ländlichen Raum. „Minister Flath muss bloß seine unsinnige Strukturpolitik absagen“, hält SPD-Bildungsexperte Siegfried Kost dagegen.

Sättigung erreicht

Überlagert wird das demografische Problem vom schwelenden Dauerstreit über die staatliche Mitfinanzierung der Privatschulen und deren Berechnungsgrundlage. Thüringen stellt gerade auf eine Pro-Schüler-Finanzierung um, während in Sachsen eine Verfassungsbeschwerde der Arbeitsgemeinschaft freier Schulen anliegt. Die Versuchung, an dieser Stelle limitierend einzugreifen, bleibt groß. Im Thüringer Kultusministerium sagt man, eine „Sättigung“ mit Privatschulen sei erreicht.