IN DER DRITTLETZTEN REIHE BEI „DARI MARUSAN“ : Gebrochene Knochen
VON DETLEF KUHLBRODT
Die Berlinale ist zu kurz! Wehmütig geht man in letzte Filme. „Cancelled Faces“ von Lior Shamriz passt gut und ist auch sehr international: Ein israelischer Filmemacher, der in Berlin und Los Angeles lebt, macht mit koreanischen Schauspielern einen formvollendeten Film über eine schwule Liebesgeschichte, die in Seoul spielt. In seiner Musikalität erinnert „Cancelled Faces“ an seinen vielgerühmten Film „Saturn Returns“ von 2009.
Im Allgemeinen halte ich HD für einen Rückschritt; in „Cancelled Faces“ hat es aber Sinn. Selten sah man ein schöneres Schwarz-Weiß. Und immer kurz bevor man das Gefühl bekommen könnte, der Film sei zu arty, kommt eine schwarze Stummfilmtexttafel zum Beispiel mit den Worten: „Tiro Sallazzin informs the Emperor that the East Mediterreneans are to be crushed.“
Später am Abend ist es dann wieder schön, in der Schlange vor dem Delphi zu stehen. Komisch, wie schnell die ganzen Leute dann im voll besetzten Kino sind. Ich sitze in der drittletzten Reihe. Auf demselben Platz vielleicht sogar wie vor 20 Jahren, als „Satanstango“ von Bela Tarr lief – einer der schönsten Filme, die ich je im Kino gesehen habe. „Dari Marusan“ von Izumi Takahashi ist nun auch großartig und knüpft atmosphärisch an die vielen wunderschönen japanischen Filme an, die ich in den letzten 30 Jahren auf der Berlinale gesehen habe. Die gehörlose Dari Marusan hat mit zwei anderen Frauen eine Detektei, die darauf spezialisiert ist, verlorene Haustiere wiederzufinden. Sie hat besondere Fähigkeiten, mit denen sie ihnen – meist verlorenen Katzen – nachspürt. Ihr Freund ist aus der Arbeitswelt gefallen und will sie erst heiraten, wenn er Geld hat. Er findet Arbeit als Vertreter für die überflüssigen Produkte einer obskuren Firma. Sein Chef bezahlt Frauen, aber auch Männer (das ist egal) dafür, dass sie sich von ihm den Arm brechen lassen. Beim Geräusch der brechenden Knochen kommt er zum Höhepunkt. Yoshikawa, ein schwer traumatisierter Außenseiter, erteilt den Frauen den Auftrag, einen Papagei wiederzufinden, den er vor zwei Jahren freigelassen hat. In der Gegend treibt ein Katzenmörder sein Unwesen. Vieles geschieht überraschend, und oft wissen die Menschen nicht, was sie tatsächlich verloren haben. Der Film hat eine wunderschöne, traurig-geheimnisvolle Melodie.
Früher hatte ich es lustig gefunden, dass sich die ModeratorInnen des Forums, bei dem nun über den Film gesprochen wurde, so sehr an Ex-Berlinale-Leiter Ulrich Gregor orientierten. Nun finde ich es sehr schön, wie in der Gesprächsführung, nicht nur von Ansgar Vogt an diesem Abend, der berühmte Forumsgründer als Lehrer aus der Ferne hindurchschimmert. Und dass sich Izumi Takahashi an eine ältere, elegante Dame erinnerte, die ihm 2008, als sein letzter Film im Delphi gezeigt wurde, sagte, sein Film habe sie an Haruki Murakami erinnert. Und nun freue ich mich auf den ganz bestimmt supertollen neuen Film von Sabu.