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Archiv-Artikel

Böse Fantasien

TANZ Mit „Maldoror Amped“ beschließt Christoph Winkler seine Trilogie „Böse Körper“ in den Uferstudios

Gewalt-, Sex- und Mordfantasien, die an die Bilder des Bösen von Lautréamont erinnern

„Böse Körper“ heißt eine Trilogie von Christoph Winkler, deren letzter Teil jetzt in den Uferstudios Premiere hatte. Schon im Titel „Böse Körper“ ist eine Verunsicherung angelegt, wie sie der Berliner Choreograf gerne nutzt, um philosophischen Diskurs und Tanz zu verknüpfen. Denn eigentlich kann ein Körper nicht böse sein, die Kategorie der Moral greift erst da, wo es um die Handlungen des Menschen geht.

Die Trilogie fragte denn auch nach den Repräsentationen des Bösen und welche Bilder dafür aufgerufen werden. Das erste Stück, das im April 2010 herauskam, glich einer Lecture über die Sichtbarkeit des Bösen und seiner Effekte: In einem Raum, der schlicht wie ein Trainingsstudio gehalten war, riefen fünf Tänzer in sprachlichen Skizzen Rollen des Bösen, oft Filmen entliehen, auf und zerlegten Szenen eines Angriffs oder Überfalls etwa in isolierte Bewegungselemente.

Auch im dritten Teil, „Maldoror Amped“ geht es um ein Spiel mit Fiktionen des Bösen, wie sie in der Literatur etwa in den „Gesängen des Maldoror“ im 19. Jahrhundert auftauchten und heute in den Texten von Gangsta-Rappern. Beides zitiert die Performance des jungen Tänzers U-Gin Boateng. Er ist allein auf der Bühne, von Scheinwerfern umstellt. Selbst Musik unterstützt ihn nur in kurzen Strecken, die meiste Zeit evoziert er allein mit seinem Körper und seiner Stimme eine schwarze Entertainment-Kultur, von der Sexmachine von James Brown über Michael Jackson bis zu dem jungen Rapper Tyler the Creator, dessen Gewalt-, Sex- und Mordfantasien an die Bilder des Bösen von Lautréamont erinnern. Die Texte und die verführerischen Gesten, mit denen diese Geschichten serviert werden, werden aufgesplittet und verfremdet, geloopt und gesampelt. Schon deshalb scheint alles, was man sieht, schon durch eine gigantische Medienapparatur und Bildmaschine geflossen zu sein, die jedes Element immer weiter vergrößert und ins Monströse steigert.

Selten sieht man einen Tänzer so sehr schwitzen wie U-Gin Boateng, selten nimmt man Tanz so sehr als Kampf eines Körpers wahr wie in diesem beeindruckenden Solo. Boateng ist in Düsseldorf aufgewachsen, hat dort Theater gespielt und in der HipHop- und Krumpszene getanzt und Preise gewonnen. In deren Battles ist er geübt, da ist alles auf Kraft gestellt, ein sehr exaktes Muskelspiel, die Battles gehen zeitlich aber oft nur über eine kurze Distanz. 60 Minuten lang im Scheinwerferlicht präsent zu sein, war für ihn eine ungeheure Herausforderung und aus dieser körperlichen Anstrengung, einem Kampf um das Durchhalten, gewinnt das Solo eine ungewohnte physische Präsenz.

Man sieht dem schwarzen Tänzer dabei bei mächtigen Verwandlungen zu. Aus den coolen und attraktiven Posen der Entertainer fällt er plötzlich heraus und mutiert zum Tier, zum Affen oder zum Kraken, bis das Animalische wiederum in ganz abstrakte Bewegungen von einer eigenen Schönheit übergeht. Das symbolisch aufgeladene Körperbild wechselt dabei mit Bewegungen, die nur ihrer eigenen Logik folgen.

Doch während der Tänzer lange Herr dieser Mutationen scheint, ein Virtuose der Verwandlung, wird es spannender und quälender in jenen Momenten, in denen er nicht mehr die Kontrolle über die Bilder, die ihn besetzen, zu haben scheint, sondern die Imaginationen ihn jagen und bedrängen. Man könnte daran einen Diskurs über Fremdzuschreibungen, Identität und Klischee anknüpfen. Wer sich im Gangsta-Rap auskennt, wird in der Performance vermutlich andere Kontexte wiederfinden als Kenner der Dichtung von Lautréamont. Viele Zuschauer kennen wahrscheinlich weder das eine noch das andere, die Vorstellung funktioniert trotzdem.

Eine größere Rolle spielte der Kontext im zweiten Teil der Trilogie, dem Solo „Baader – Choreografie einer Radikalisierung“, aufgeführt dieses Jahr im Juni. Dieses Solo, von Martin Hansen getanzt, war schärfer konturiert, vielleicht auch, weil es um einen Mann, den Stil seiner Inszenierung und einen Zeithorizont der Bilder von Eros, Glamour und des Coolen ging. „Baader“ wird im Januar 2012 wieder im Ballhaus Ost aufgeführt und ist zum Wettbewerb um das beste deutsche Tanzsolo, der Tanzplattform 2012, eingeladen.

KATRIN BETTINA MÜLLER