: Glückstiere im Hallenbad
Hat es jemals elektronische Musik gegeben? Gab es die Beach Boys, Dub, My Bloody Valentine? Beim Animal Collective im Festsaal Kreuzberg verloren sich die Gewissheiten der Popgeschichte
VON RENÉ HAMANN
Diesmal waren sie nur zu dritt. Gitarrist Deaken war nicht mitgekommen. Aber wer das Animal Collective kennt, wusste: Das hat nicht viel zu bedeuten. Denn diese 1999 in Baltimore gegründete Band, die schon bald nach New York umzog, definiert sich immer wieder neu und tritt öfter in changierender Besetzung auf. Einzige Konstanten sind Sänger Avey Tare und Panda Bear, der diesmal weiter vorne an den Knöpfen stand, mehr von seinen Songs singen durfte und nur gelegentlich wild auf dem provisorischen Schlagzeug (eine Tom, ein Becken) herumtrommelte.
Das war beim letzten Mal noch anders gewesen. Da hatten Animal Collective die Volksbühne bespielt, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des vorletzten Albums „Feels“. Die Leute verloren sich in den Sitzreihen. Einige gingen vorzeitig. Die geblieben waren, hatten ein unglaubliches, unfassbares Konzert miterlebt, eine Art Durchspülung des Neuronensystems mittels Musik. Tare und Deaken schrammelten auf ihren Gitarren herum, die Feedbacks klangen außerirdisch, The Geologist mit seinem Grubenlämpchen stand vorne und schüttelte zwei Stunden lang den Kopf zum Rhythmus, Panda Bear trommelte wie ein Irrwisch im Hintergrund. Schon damals war klar: Das konnte nur die neue beste Band der Welt sein.
Bereits ihre vorvorletzte Platte „Sung Tongs“ war großartig gewesen – und wiederum ganz anders, nämlich sehr akustisch mit elektronischen Elementen. Diesmal, im überfüllten Festsaal Kreuzberg, gab es so gut wie keine Gitarren. Animal Collective haben sich mit ihrer neuen Platte „Strawberry Jam“ für den elektronischen Zugang entschieden. Live umgesetzt klang das so: Ausufernde Intros, breite Outros, dazwischen Songfragmente vom andern Stern. Verhallte Sounds, immer ein Zirpen, oft ein breiter Bass, und trotz allem angedeuteten Tribalismus nie ein selbstgefälliges Durchziehen, nie ein Rockismus. Und bei aller Elektronik: niemals Dorfdisko, niemals Großraumtechno, niemals Underworld. Die Einflüsse der Band lassen sich nach dem Hören ihrer Platten (die wesentlich songorientierter sind) noch klar umreißen. Im Laufe des Konzerts, das von hoher Lautstärke war und eine Lichtshow präsentierte, die die Lichteffekte von Steven Spielbergs „Unheimlicher Begegnung der dritten Art“ weit übertraf, verloren sich jedoch die Gewissheiten: Hat es vor Animal Collective jemals elektronische Musik gegeben? Gab es jemals so was wie Dub? Gab es Drone, gab es die Beach Boys, hat es jemals My Bloody Valentine gegeben? Gab es Calypso und etwas, das sich Indie Pop hätte nennen können?
Animal Collective spielten all das. Gleichzeitig, abwechselnd, aufnehmend, verarbeitend. Animal Collective ist auch deshalb die derzeit beste Band der Welt, weil sie die einzige ist, die wirklich im 21. Jahrhundert angekommen ist. Und schon längst wieder darüber hinaus. Die Welt ist ein tropisches Hallenbad, sie ist gerecht, bunt und schön, harmonisch und vielschichtig, und alle dahingekreischten Abgründe tragen das Ihrige dazu bei.
Die Songs von Avey Tare gaben den wortlastigen Teil, und es waren gute Worte, Panda Bear übte sich im Zerdehnen der Vokale, und es waren gute Vokale. Zwischendurch wurde gesummt, kurz gebellt (wie weiland im Ska – aber hatte es jemals Ska gegeben?) oder mehrstimmig wortfrei gesungen. Wer sich auskannte und aufpasste, konnte Stücke von „Sung Tongs“ erkennen ( „Who Could Win a Rabbit“ und das abschließende „Leaf House“), viele von „Strawberry Jam“ und keines von „Feels“. Oder vielleicht doch?
Das Beste allerdings war: Wieder fühlte man sich ausgetauscht, neu figuriert, psychohygienisch durchgespült, einfach und regressiv beglückt, zurückversetzt in einen Glückszustand, den man vielleicht als Zwölfjähriger zuletzt hatte (oder in den Zwanzigern, als man noch MDMA probierte). Naive Euphorie. Nur mit ganz anderen Mitteln als beim letzten Mal. Dabei wurden die Stücke, auf die man wartete, gar nicht gespielt. „For Reverend Green“ oder „Kids on Holiday“ fanden jedenfalls nicht statt. Aber wie gesagt, so sicher kann man sich da nicht sein.