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Archiv-Artikel

Ein Gespür für Schnee

Wetterbedingt rechnen Iraks Kurden nicht mit einem schnellen Einmarsch der Türkei, um die PKK zu bekämpfen. Aber das Misstrauen ist groß

AUS ERBIL INGA ROGG

Der alte Muhsin Saleh Kattani weiß, wie man einen Guerillakrieg führt. Der irakische Kurde war gerade vierzehn, als er sich 1945 den kurdischen Peschmerga im Irak anschloss. Fast vierzig Jahr hat der heute 76-Jährige gekämpft. „Eine Guerilla kann man mit einer noch so großen militärischen Übermacht nicht besiegen“, sagt Kattani. „Das hat Saddam nicht geschafft, und es wird auch der Türkei gegenüber der PKK nicht gelingen.“

Hinter den schroff ansteigenden Bergen oberhalb von Bainatha findet sich eines von mehreren Lagern der Kurdenguerilla PKK im irakisch-türkischen Grenzgebiet. Von dort aus verüben die Rebellen auch immer wieder Angriffe auf türkische Militärposten jenseits der Grenze. Das Parlament der Türkei ermächtigte die türkische Regierung am Mittwoch, im Gegenzug grenzüberschreitend gegen die PKK zu operieren.

Die Regierung des irakisch-kurdischen Teilstaats in Erbil hat die PKK-Aktivitäten verurteilt. Sie werde nicht zulassen, dass ihr Territorium für Angriffe gegen die Türkei oder ein anderes Nachbarland benutzt werde, sagte die Regionalregierung am Donnerstag. Gleichzeitig appellierte sie an die Türkei, auf militärische Schritte zu verzichten, und forderte sie zu direkten Gesprächen auf. „Die Regionalregierung begrüßt den Dialog mit Ankara in allen gemeinsamen Belangen, einschließlich der PKK“, heißt es in der Erklärung. Ein militärischer Einmarsch würde dem gesamten Nahen Osten schaden. Tausende Schüler und Studenten demonstrierten am selben Tag in Irakisch-Kurdistan gegen den türkischen Parlamentsbeschluss.

Für die Kurden der Nachbarländer hat die große politische Autonomie des irakischen Kurdistan Modellcharakter. Wie viele Kurden glaubt auch der alte Kattani, dass es Ankara im Grunde genommen genau darum und nicht um die PKK geht. „Die Türkei will einfach nicht, dass wir in Frieden leben können“, sagt Kattani. So sehen es auch die drei kurdischen Abgeordneten des irakischen Parlaments, die an diesem Tag gekommen sind, um die Schäden in Augenschein zu nehmen, die durch türkischen Artilleriebeschuss vor wenigen Tagen entstanden sind. Verletzt wurde niemand, aber am Ortsrand von Bainatha sind mehrere Felder abgebrannt. Es sei unglaublich, dass Iraks Zentralregierung in Bagdad die Souveränitätsverletzung nicht entschiedener verurteile, sagt die Abgeordnete Kamila Ibrahim Badi. „Wir sind Teil des föderalen Irak, damit ist die Regierung für den Schutz des ganzen Landes verantwortlich“, sagt Badi. Doch nicht nur in Ankara, sondern auch in Bagdad bezweifelt man, dass die Kurden es mit ihrem Bekenntnis zum Irak ernst meinen und nicht am Ende doch die Unabhängigkeit ausrufen.

Zwar forderte Iraks Regierungssprecher Ali Dabbagh die Türkei auf, von einem Einmarsch abzusehen. Sami al-Askari, ein enger Berater von Ministerpräsident Nuri al-Maliki, giftete jedoch, die Kurden erinnerten sich immer nur dann an Bagdad, wenn sie in Bedrängnis seien. Für den Schutz ihrer Region seien die Kurden selbst verantwortlich.

Gemäß der irakischen Verfassung liegt die innere Sicherheit tatsächlich in den Händen der Regionalregierung. Dass Soldaten oder Polizisten aus anderen Landesteilen in Irakisch-Kurdistan diese Aufgabe übernehmen könnten, ist heute unvorstellbar. Nach Regierungsangaben verfügen die Kurden über 110.000 Soldaten und Sicherheitskräfte, Befehle kann ihnen Bagdad nicht erteilen.

Ob die kurdischen Einheiten im Fall eines türkischen Einmarschs zur Landesverteidigung aufgeboten würden, wollten kurdische Politiker am Donnerstag allerdings nicht beantworten. Verstärkte Patrouillen oder gar eine Mobilmachung gab es nicht. Direkt an der türkischen Grenze taucht nur hier und da mal ein Wachposten auf. Für die Präsenz der PKK haben sie meist nur ein Schulterzucken übrig. Sie wissen nur zu gut, dass das unwegsame Berggebiet für eine Guerilla kein Hindernis ist.

Der alte Kattani und die Abgeordnete Badi meinen, dass neben Bagdad vor allem die US-Amerikaner gefordert seien. Ein türkischer Einmarsch könnte Iran zum gleichen Schritt verleiten, sagt Badi. Diese Sorge teilen auch die US-Streitkräfte im Irak, die auf kurdische Unterstützung angewiesen und ohnehin schon über die Maße beansprucht sind.

Im Grenzgebiet rechnet derzeit niemand damit, dass Ankara die Drohung wahrmacht. „Bald liegt dort oben in den Bergen meterhoch Schnee“, sagt Kattani. „Und im Winter hat hier noch nie jemand Krieg geführt.“