: Der Wanderer
Citta Gutto hieß einmal Andreas Both und lebte im holsteinischen Oldenburg. Jetzt leitet er ein buddhistisches Kloster in Thailand. Das ist die Geschichte von einem, dem das eigene Leben plötzlich schal vorkam und der aus dieser Erkenntnis radikale Konsequenzen zog
VON JAN FREITAG
Der Mann, der seinen Geist bewacht, ist ein prinzipientreuer Mensch. Nein, er wolle sich nicht fotografieren lassen, sagt der kahl rasierte Vize-Abt des buddhistischen Klosters im Nordosten Thailands. Er sagt es ruhig und freundlich, aber er meint es so. Und sollte das als Zeichen mangelnder Frömmigkeit gewertet werden, als eines gar gegen den Gedanken des Buddhismus, seiner Religion, die Selbstlosigkeit als Selbstzweck propagiert – nun gut, „dann ist das deine Meinung, das respektiere ich“, sagt der Abt. Dennoch, die Digicam bleibt aus. Fertig, Sorry.
Citta Gutto lächelt nicht milde, er guckt nicht weise, er sieht dem einheimischen Gläubigen, der da vor ihm kniet und das entgangene Fotomotiv beklagt, nur unbewegt ins Gesicht, durch seine gandhieske Nickelbrille. Vielleicht liegt das an seiner Herkunft, eine raue, kühle Gegend, in der man deutliche Worte und klare Formulierungen schätzt. Ganz anders als hier, im dichten Urwald an den Ufern des Mekong, der Mutter aller Flüsse, wie die Thai ihn nennen, wo Sanftheit als Menschenrecht gilt und allzu bestimmter Tonfall rasch zum Gesichtsverlust des Adressaten führt. Citta Gutto stammt aus dem Norden Deutschlands, Oldenburg in Holstein, um genau zu sein, und dass er heute so viele Tausend Kilometer weiter östlich lebt, im weltberühmten Waldkloster Wat Pah Nanachat, das ist schon eine merkwürdige Geschichte.
Sie begann vor etwa 16 Jahren. „Da hatte das Leben da draußen plötzlich keinen Sinn mehr, es gab keine Perspektiven für mich“, erinnert er sich in breitem Küstendeutsch, eine der wenigen Angewohnheiten, die er nach Südasien hinüberretten konnte. Die Mischung aus Gier und Hass, Verblendung und Neid, in Asien gern als typisch westlich subsumiert, sei ihm einfach zu viel geworden, das Physikstudium zu profan, sein Vordiplom gleichgültig, selbst Freunde, Familie, die gewohnte Umgebung irgendwie bedeutungsärmer. „Da habe ich den Buddhismus getroffen“, sagt er.
Wie er das formuliert, klingt es, als seien sich tatsächlich beide über den Weg gelaufen, im Vorbeischlendern quasi. Hallo, ich bin dein Ausweg. Für Citta Gutto war es wie eine Rettung. Dabei begegnete er sich damals vor allem selbst, wie er es nennt. Buddhismus ist keine Schriftreligion wie das Judentum, keine expansionistische wie das Christentum, keine missionarische wie der Islam, eher eine eigene, eine innere Angelegenheit mit gewisser Außenwirkung.
Jetzt, nach seinem Noviziat in einem englischen Kloster der ältesten buddhistischen Schule Theravada und seiner Übersiedlung nach Thailand vor neun Jahren, ist er eben der Mann, der seinen Geist bewacht. So lautet die Übersetzung seines neuen, verliehenen Namens Citta Gutto. Es ist nicht so, dass Andreas Both tot ist. „Meine Eltern nennen mich natürlich noch immer so“, sagt er. Aber von Belang ist er höchstens noch passrechtlich.
Drei Regenperioden hat er mit Unterbrechungen bereits im Wat Pah Nanachat gelebt. Jahreszeiten kennt man nicht in diesen Breitengraden, nur trockenheiß, feuchtheiß, nassheiß. Und wenn der Monsun endet, gegen Oktober, dann geht Citta Gutto auf Wanderschaft, zum Lernen, zum Erleben, auf dem Pfad der Erleuchtung, wie es alle Bhikkhu tun. So heißen buddhistische Mönche in der alten Textsprache Pali. Es sind jene, die Almosen empfangen und dafür auch noch den Dank der Gläubigen erhalten.
Wo auch immer sie mit ihren selbst genähten Kutten in kräftigem Orange auftauchen, geben ihnen die Menschen bereitwillig vom Wenigen, das sie haben. Es ist kein franziskanisches Gebot der Besitzlosigkeit, kein Bettelmönchstum, eher ein fernöstliches Prinzip religiöser Arbeitsteilung: Die da draußen versorgen uns mit Essen, wir versorgen sie mit Weisheit, Segen, Erbauung oder auch bloßer Anwesenheit.
Nach wenigen Monaten wird Citta Gutto, eine Art Finanzminister der weitläufigen Einrichtung, wieder zurückkehren. Das internationale Kloster in der Region Isaan, 1975 gegründet und permanent von mindestens 40 Mönchen aus Europa, Amerika und ihren Besuchern bewohnt, ist für Gutto „meine Homebase“. Sein ganzes Leben wolle er dennoch nicht dort bleiben, erzählt der drahtige Mann von 43 Jahren in der großen Gebetshalle, vier vergoldete Buddhastatuen von beachtlicher Größe zur Rechten, ein paar Wasserflaschen zur Linken.
Im Kloster verbringt er die meiste Zeit. Hier erteilt er den vielen Besuchern ihren Segen auf Thai und redet mit anderen Mönchen. Das Büro ist gleich nebenan. Die Verkehrssprache ist Englisch. Deutsch benutzt er nur selten, selbst Landsleuten gegenüber. „Ach, Sie sind sogar aus Deutschland“, sagt er grinsend zum europäischen Besucher. „What can I do for you?“
Seine Mutter sende ihm manchmal deutsche Zeitungsausschnitte, um ihn auf dem Laufenden zu halten und seine Wurzeln in Erinnerung. Einmal im Jahr besuchen ihn die Eltern, einmal er sie. Das schafft Verbundenheit. „Und mein Opa hat mir vor seinem Tod öfter mal ‚Beruf und Chance‘ geschickt, irgend so ein Karrieremagazin“, erzählt er und lacht nun doch kurz aus seinem hageren Gesicht, das vom Essensverbot nach dem Mittag konturiert wird.
Das Klosterleben ist entbehrungsreich. Vergehen wie Diebstahl, Geschlechtsverkehr oder das Vortäuschen unerreichter Erleuchtungszustände werden mit Ausschluss bestraft. Wer länger als drei Tage bleiben will, müsse sich den Kopf rasieren und ernsthafte Lernabsichten bekräftigen. Auch Frauen.
Beides – zu kommen und zu bleiben – wirkt beim Spaziergang durch die Anlage überaus erstrebenswert, nicht nur aus religiöser Sicht. Wat Pah Nanachat ist eine Idylle. In Tausenden feiner Streifen dringt gleißendes Sonnenlicht durch die dichte Vegetation zum Boden. Die einzigen Geräusche stammen von Vögeln, die auf jedem Ast zu sitzen scheinen. Selbst im künstlich beleuchteten Hauptsaal herrscht eine Atmosphäre warmer Natürlichkeit.
Trotzdem ist es beileibe nicht so, dass Citta Gutto entrückt wäre von allem Weltlichen. Buddhistische Mönche müssen zwar nicht arbeiten und leben von Almosen, doch viele Klöster verfügen über moderne Kommunikationsmittel bis hin zum Internetzugang. Dieses hier hat sogar eine aufwändig gestaltete Homepage und trotz des offiziellen Geldverbotes muss der stellvertretende Abt gelegentlich Schecks für größere Anschaffungen ausfüllen.
Dem Kloster geht es prächtig. Es erwirtschaftet Überschüsse. Viele Einheimische und Angehörige spenden dem Kloster mehr als nötig. „Sie vertrauen uns unberechtigterweise eher als ihren eigenen Mönchen“, erklärt der hochgewachsene Norddeutsche und pult sich nervös an den Füßen herum, „weil wir angeblich im weltlichen Leben mehr aufgeben“.
Dem liege der Irrglaube vom stinkreichen Durchschnittseuropäer zu Grunde, der sich schon durch die Möglichkeit, derart weit zu reisen, speist. „Dabei gibt jeder, der Mönch wird, viel auf.“ Das sei keine Frage des Wohlstands. Bei Citta Gutto war es ein gewisser Andreas Both aus Oldenburg in Holstein. Er trauert ihm nicht sonderlich nach.