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Archiv-Artikel

Internet killed the video star

FILM Morgen schließt mit dem „Negativeland“ in Prenzlauer Berg eine der besten Videotheken der Stadt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand – und doch befassen sich die wenigsten Videothekare mit dem Internet

Eine Strategie für die Zukunft haben wenige. Man betreibt das Geschäft halt weiter

VON ANDREAS HARTMANN

Auf die Anfrage, ob man mal vorbeikommen könne, um erfahren zu können, was zur Schließung der Videothek Negativeland im Prenzlauer Berg geführt hat, kommt die Erklärung per E-Mail, und sie ist klar und deutlich: „Wir schließen, da wir pleite sind. Zu wenig Kundschaft, zu wenig Einnahmen. Mehr gibt es nicht zu sagen.“ Jörg Ganzer, dessen Laden am morgigen Mittwoch nach fast 25 Jahren dichtmachen wird, fügt noch hinzu, um auch wirklich klarzustellen, dass es für ihn nichts weiter dazu zu sagen gibt: „Sie brauchen nicht vorbeizukommen.“ Einen Ausverkauf werde es nicht geben und was mit den Massen an DVDs geschehen wird, sei noch unklar. „Ich werde“, diese Info rückt Ganzer immerhin noch raus, „sie erst mal behalten.“

Schluss, aus, vorbei also. Die neben dem Videodrom in Kreuzberg bekannteste Videothek Berlins, die auch überregional einen Ruf als ernst zu nehmendes Filmarchiv genoss und von Arthouse bis zum ausgefallenen Hongkongfilm alles im Programm hatte, was den Cineasten wie den normalen Filmliebhaber interessieren könnte, ist Geschichte.

Wirklich überraschen wird diese Entwicklung wohl niemanden, dafür ist inzwischen zu viel vom bevorstehenden Tod der DVD, Netflix und der totalen Digitalisierung die Rede. Im konkreten Fall kommt noch hinzu, dass sich in den letzten Jahren der Prenzlauer Berg zum Bezirk der Ökomuttis und Bioläden gewandelt hat, in dem eine Off-Videothek immer mehr wie ein Fremdkörper wirkte.

17.000 Filmtitel

Schaut man sich im Negativeland um, ist es zwar ziemlich beeindruckend, was für ein breites Angebot man hier bekommt: Um die 17.000 Filmtitel sind verfügbar, alles fein sortiert nach Regisseuren oder Genres. Hier findet jeder etwas, von dem er noch nie vorher gehört hat. Nur: So gut wie jeden Film, den man schon immer mal sehen wollte, gibt es bekanntlich inzwischen auch im Internet. Und all die coolen amerikanischen Serien natürlich noch obendrauf. Mit etwas Glück sogar ganz legal kostenlos. Und man bekommt das Gewünschte sofort, ohne dafür in Jogginghose zur Videothek zu schlappen und ohne daran denken zu müssen, dass man ihn am nächsten Tag rechtzeitig zurückbringt, um nicht noch mehr Leihgebühr zu bezahlen.

„In zehn Jahren wird es Läden wie unsere nicht mehr geben“, sagt Silvio Neubauer, der Besitzer der „Filmgalerie Berlin“ in Mitte – einer ähnlich gut sortierten Videothek wie das Negativeland. Neubauer sagt, die Zahl der Kunden sei auch bei ihm in den letzten Jahren „dramatisch zurückgegangen“, und nur dank der treuen Kundschaft könne er seinen Laden überhaupt noch betreiben. Nachdem Ende 2013 der Mietvertrag für die Räumlichkeiten, die er bis dahin in der Torstraße für seine Filmgalerie hatte, auslief, hätte dies, so Neubauer, auch das Ende für seine Videothek bedeuten können. Nur mit Glück habe er dann doch einen passenden Laden, kleiner als der frühere und zu einer akzeptablen Miete, in der Invalidenstraße gefunden.

In der Stunde am Nachmittag, in der dieses Gespräch mit Neubauer stattfindet, ist nicht wirklich viel los in dem Laden. Neubauer hat spontan Zeit für ein Gespräch, während er nebenbei weiter das tut, was ihn sowieso den ganzen Tag beschäftigt: Alte VHS-Kassetten digitalisieren und das Online-Archiv mit den neu verfügbaren Titeln füttern, während ein Mitarbeiter am Tresen für die Kunden da ist. In Neubauers Office säumen DVDs die Regale, und überall stehen tatsächlich noch VHS-Kassetten herum, „der ganze Keller ist noch voll damit“, sagt er. Anfang des Jahrtausends haben die Videotheken prinzipiell den Formatwechsel von Video auf DVD vollzogen, was natürlich auch gehörig ins Geld ging, gut 3.000 Videokassetten hat Neubauer aber immer noch im Verleih. Darauf sind Filme, die es einfach noch nicht auf DVD gibt, sagt er, oder die es zumindest nicht in der Sprachfassung der VHS-Kassette auf DVD gibt. Um die 24.000 Filmtitel stellt die „Filmgalerie“ insgesamt bereit.

Neubauer glaubt, das Negativeland sei zu „alternativ und schrullig“ gewesen, um weiter zu überleben, wollte zu sehr den besonderen Filmgeschmack bedienen und vor allem „Spezialitäten“ anbieten. Doch diese Videokultur der Achtziger und Neunziger mit ihrem Splatter und ihren Obskuritäten sei eben nicht mehr zeitgemäß. Dass ihm und seinem Laden das Wegfallen einer räumlich nicht so weit entfernten Konkurrenz gar helfen könnte, glaubt er nicht. „Videotheken sind schon jetzt etwas so Seltenes geworden im Stadtbild und damit gar nicht mehr im Aufmerksamkeitsraster der Menschen“, sagt er, das Wegfallen einer Institution wie dem Negativeland werde diesen Trend nur befeuern.

Und irgendwann, meint er, werden Videotheken nach dieser Logik eben sang- und klanglos einfach ganz verschwunden sein.

Auch Karsten Rodemann, Betreiber des Videodroms, Deutschlands wohl bekanntester Videothek, argumentiert ähnlich. Seit gut drei Jahren befindet sich nun sein Laden nach einem Umzug direkt im Bergmannstraßenkiez, und allein in dieser Zeit habe er beobachtet, wie in der Bergmannstraße ein Laden nach dem anderen dichtgemacht habe oder in Nebenstraßen verdrängt worden sei, weil man sich dort die Mieten nicht mehr habe leisten können. Die Auswirkungen der Digitalisierung, so glaubt Rodemann, betreffen eben nicht nur sein Gewerbe, sondern den Einzelhandel generell, die ganze Kultur, unseren kompletten Alltag. „Auch die kleinen Kinos sind davon tangiert, denen geht es doch auch allen nicht mehr gut“, sagt er.

Eigentlich wolle er überhaupt nicht mehr über den Niedergang der Videotheken reden, denn ständig würden in seinem Laden Leute nach Jahren der Abstinenz wieder mal auftauchen und sich erkundigen, wie es mit dem Geschäft denn noch so gehe. Das Thema hänge ihm einfach zum Hals raus, aber dann spricht er, der bekannt dafür ist, im Hawaiihemd seine Kunden freundlich und ausgiebig zu beraten, dann doch voller Hingabe über dieses.

Wütend habe ihn das Ende des Negativeland gemacht, sagt er. Die Kollegen im Prenzlauer Berg hätten ähnlich akribisch wie er selbst versucht, jeden nur erdenklichen interessanten Film von überall her zu besorgen, aber es wurde ihnen eben nicht mehr gedankt, sagt er. Und wird dann ein wenig kulturpessimistisch. „Du kannst gegen die Faulheit der Kunden einfach nichts machen“, sagt er und spricht davon, dass er früher Leute im Laden gehabt hätte, die sich ad hoc das Gesamtwerk des Regisseurs Wong Kar Wai ausgeliehen hätten, während man heute eben am liebsten „lustige Katzenvideos auf YouTube gucken“ würde.

Dem Videodrom gehe es „natürlich nicht gut“, sagt er. Auch wenn man sich, anders als vielleicht das Negativeland, in den letzten Jahren verändert hat. Früher warb das Videodrom damit, „widerliche Filme für widerliche Leute“ bereitzustellen, während heute die Ab-18-Ware nicht mehr in Sichtweite der Kinder ist, die jetzt auch Zutritt zu der Videothek haben. Das Videodrom, schon in den Achtzigern eine Kultstätte der Berliner Subkultur, ist jetzt familienfreundlich. Aber eine richtige Strategie für die Zukunft haben die wenigsten, so Rodemann. Solange es geht, werde man das Geschäft halt weiter betreiben wie bisher, also einfach nur „gute Filme mit guter Beratung“ anbieten.

Einen etwas anderen Tonfall in die Thematik bringt Martin Schuffenhauer mit, Mitbetreiber der Filmkunstbar Fitzcarraldo in Kreuzberg, einer Mischung aus Cineasten-Videothek und Absturzkneipe. Man dürfe das „Internet nicht als Gegner“ begreifen, sagt er und glaubt: „Das Internet ist sogar Gold wert.“ Der Videothek an sich, da ist er noch pessimistischer als Neubauer von der Filmgalerie Berlin mit seinen geschätzten zehn Jahren Schonfrist, gibt er noch fünf Jahre, denn bis dahin sei „auch der letzte Fernseher internetfähig“.

Schuffenhauer rüstet sich aktiv für die Zukunft, und die liegt auch für ihn im Internet. Dorthin wolle er mit seiner Videothek nun eben einfach auch. Kneipe und DVD-Verleih bereits angeschlossen ist die Plattform Cinegeek. Dort werden von Filmfans und ihm selbst Links für kostenlos verfügbare Streams cineastischer Kleinode und spezieller Independentfilme gesammelt. Gelegentlich wird man auch darauf hingewiesen, dass der entsprechende Film im Fitzcarraldo entleihbar ist.

Längerfristig will Schuffenhauer seine Online-Plattform etablieren und dann stärker von kostenlosen Inhalten auf kostenpflichtige übergehen, gar ein eigenes Filmlabel aufbauen, Filmrechte kaufen und eine Art „Indie-Netflix“ werden. „Wir“, so Schuffenhauer, „zäumen das Pferd einfach von hinten auf.“

Hoffen auf ein Comeback

Den DVD-Verleih werde er bei diesem Geschäftsmodell in irgendeiner Form in jedem Fall behalten, glaubt er. „Vielleicht kommen die Leute ja auch irgendwann von den Streams in schlechter Qualität zurück zur DVD. Nach all den MP3s erlebt ja auch das Vinyl wieder sein Comeback.“

Und dazu lässt sich nur sagen: Nach dem Plattenladensterben Anfang des Jahrtausends gibt es in Berlin heute so viele Plattenläden wie nie zuvor.