: Kleidung ökologisch unterentwickelt
Die Haut ist das größte und vielfältigste Organ des Menschen. Trotzdem wird für gesunde Lebensmittel aus biologischem Anbau viel Geld ausgeben, während die Pflege der Haut beim Kauf hochwertiger Seifen und Cremes aufhört. Das Gift, das in der Kleidung steckt, scheint die wenigsten zu kümmern
VON JAN WEHBERG
Ein wallendes, mit Zwiebelschalen ins Gelbliche gefärbte Kleid, bis zu den Birkenstocksandalen fallend, dazu passend eine schafwollene Weste in einem dezenten Graugrün gehalten. Ergänzt wird diese Kollektion durch ein Palästinensertuch oder auch ein buntes Stirnband: Die Vorstellungen von politisch korrekter Öko-Mode dürften bei den meisten in Richtung dieses Klischees gehen. Das allerdings ist überholt: Der Schwerpunkt hat sich längst von „Öko-“ auf „Mode“ verlagert.
Bei Marlowe Nature in Ottensen sieht es so aus wie in den konventionellen Boutiquen der Nachbarschaft. In ruhiger Atmosphäre, begleitet von sanfter Musik kann hier Shopping betrieben werden. Von der klassischen Bluse bis zu Hauspantoffeln ist alles zu haben. Allerdings tragen die schicken Kleidungsstücke dezente Hinweise, dass die Baumwolle aus kontrolliert biologischem Anbau stammt. Ein Hinweis, der sonst nur von Lebensmitteln vertraut ist.
Der konventionelle Anbau von Baumwolle, die etwa 60 Prozent der verwendeten Textilfasern stellt, ist sehr intensiv und belastet die Umwelt stark. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist hier so hoch wie in kaum einem anderen Zweig der Landwirtschaft. Außerdem muss Baumwolle stark bewässert werden. Bio-Baumwolle wird ohne Einsatz von Pestiziden oder synthetische Dünger angebaut und ohne Entlaubungsmittel von Hand geerntet. Gentechnisch veränderte Pflanzen kommen nicht in Frage. Auf schwermetallhaltige Farben oder Chlorbleiche wird verzichtet. Die chemischen Zusatzstoffe in der konventionellen Kleidung können dagegen beim Tragen Allergien auslösen.
Die häufig verwendeten synthetischen Fasern sind keine Alternative: Sie werden aus Erdöl hergestellt, das als Rohstoff endlich ist und wiederum unter starker Belastung der Umwelt gewonnen werden muss.
„Wir stehen bei dem Bewusstsein für Kleidung und Stoffe dort, wo es vor 20 Jahren bei den Lebensmitteln war“, sagt Uli Ott, Geschäftsführerin von Marlowe. Die Haut ist das größte und vielfältigste Organ des Menschen. Eineinhalb bis zwei Quadratmeter misst sie in der Fläche und wiegt rund zehn Kilo. Die Haut schützt den Körper, leistet wichtige Beiträge zum Stoffwechsel sowie der Immunabwehr und dient letztendlich auch der Kommunikation. Trotzdem wird für gesunde Lebensmittel aus biologischem Anbau viel Geld ausgeben, während die Pflege der Haut beim Kauf hochwertiger Seifen und Cremes aufhört.
Ein allgemein gültiges Siegel wie eben bei Lebensmitteln gibt es nicht. „Wir lassen unsere Ware selber zertifizieren und prüfen die Herkunft“, sagt Ott. Ein einheitliches Siegel in der Textilbranche sei schwer zu verwirklichen, da es viele verschiedene Standards und Produktionswege gebe.
So könne es sein, dass die Baumwolle aus ökologischem Anbau stamme, sie aber keineswegs diesen Standards entsprechend gefärbt wurde. Das Siegel „Naturtextil“ des Internationalen Verbandes der Naturtextilwirtschaft (IVN) ist nach Einschätzung Otts ein Beispiel für unbelastete Ware. Dieser Zusammenschluss von Textilunternehmen hat sich zum Ziel gesetzt „hochwertige Naturtextilien nach den strengsten ökologischen und sozialen Richtlinien herzustellen“. Hierbei wird deutlich, dass die Belastung der Kleidung nicht das einzige Problem ist.
Das südindische Tiruppur ist eine Textilmetropole, aus der viele bekannte Unternehmen weltweit ihre Ware beziehen. Inzwischen ist das Wasser durch die ansässige Industrie dort so stark verschmutzt, dass das Trinkwasser für die Stadt mit Tankwagen aus der Umgebung geliefert werden muss.
Weil die Produktionsbedingungen nicht nur hier katastrophal sind, haben sich auf der ganzen Welt verschiedene Initiativen oder Projekte gegründet, die gegen diese Bedingungen vorgehen. In Ägypten hat Ibrahim Abouleish 1977 begonnen, das Fairtrade-Unternehmen Sekem aufzubauen, das sich unter anderem dem biologisch-dynamischen Anbau von Baumwolle verschrieben hat. 2003 erhielt Abouleish dafür den alternativen Nobelpreis.
Als Alternative zur Baumwolle werden Textilien heute wieder aus Flachs, Leinen oder Hanf hergestellt. Auch Brennnesseln dienen als Faserpflanze. Doch ersetzen können diese Pflanzen die Baumwolle nicht. Letztere ist sogar dabei ihren Vorsprung zu vergrößern. Inzwischen gibt es sie sogar schon in farbigen Zuchtformen mit brauner oder lindgrüner Farbe.