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Archiv-Artikel

Wie hältst du’s mit der Pornografie?

Tja, wie denn? Das Pornfilmfestival machte sich auf die Suche nach der ästhetisch korrekten Darstellung und nahm die Sache mit Humor

Unten, im Innenhof des Eiszeit-Kinos spielen noch die Kinder, als die Tür des Kinosaals aufgeht, Festivalleiter Jürgen Brüning durchs Kino läuft und bekannt gibt, die Kurzfilme im Saal 2 liefen jetzt. So begeben sich alle in Saal 2, um einen Porno beziehungsweise viele kurze anzuschauen. Es ist Pornfilmfestival, Tag zwei, Zeit für eine Erkundung: Wie ist das denn, mit vielen Leuten gemeinsam im Kino zu sitzen und Menschen beim Sex zuzuschauen? Der Saal ist halb gefüllt, gut die Hälfte des Publikums besteht aus Pärchen, überwiegend lesbischen. Ein Pärchen kruschtelt in der gemeinsamen Tasche und holt eine Packung Lebkuchen heraus. Sie öffnen die Packung, es knistert, die Leute schauen, eine der beiden fragt: „Magst auch einen?“ „Ja, gern.“ Dann geht das Licht aus, der erste Film beginnt, und Heinz, 75 Jahre alt, erzählt, dass er sich als „Zweilochhobbyhure“ missbrauchen lassen will.

Über wenig wird zurzeit so hitzig diskutiert, wie über Pornografie. Die Emma lässt ihre PorNo-Kampagne wieder aufleben, Intellektuelle diskutieren über das Verhältnis von Porno und Politik, und im Zuge des Dokumentarfilms „Inside Deep Throat“ wird einmal mehr über die Ausbeutung von Frauen in der kommerziellen Pornoindustrie gesprochen. Es scheint, die Gretchenfrage einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft ist: Sag, wie hältst du’s mit der Pornografie? Jürgen Brüning sagt dazu nur ganz lapidar: Mit seinem Festival will er Menschen dazu anregen, sich mit Pornografie auseinanderzusetzen. Die Leute sollen sich erst mal in „angenehmer Atmosphäre“ einen Porno anschauen, bevor sie darüber reden. Allerdings werden auf dem Pornfilmfestival gerade nicht die Pornos der Industrie gezeigt, die Brüning zu 95 Prozent „scheiße“ findet. Es geht um die restlichen 5 Prozent, ökonomisch betrachtet also Independent-Pornos, die inhaltlich und formal außerdem anders an die Darstellung von Sex herangehen. Von angenehmer Atmosphäre kann bei den Kurzfilmen dennoch nicht unbedingt die Rede sein. Es ist anstrengend, auf der Leinwand wird onaniert, gekackt und natürlich gefickt. Als das Licht wieder angeht und der Abspann läuft, reiben sich die Leute die Augen und seufzen erleichtert. Ein Mann geht zur Regisseurin, die auch im Publikum sitzt und sagt, dass er ihren Film unprofessionell fände. Pornos können ganz schön anstrengend sein.

Das Kino hat sich inzwischen merklich gefüllt, die meisten Besucher sind aus der Schwulen- und Lesbenszene, mehr oder weniger schrill gekleidet. Jürgen Brüning verteilt Bussis, er wird gefragt, wann denn die Funpornos liefen, während eine Frau mit Zebrakleid, Kopftuch und Trash-Goldketten vor ihrem Laptop fast verzweifelt.

Zweiter Film, zwei Lesbenpornos. Der Saal ist jetzt fast voll, das Pärchen mit den Lebkuchen ist auch wieder da. Als im Vorspann Werbung für ein Schwulenmagazin läuft, wird gekichert, später noch mal, als im ersten Film ziemlich alberne Geheimagenten auftreten, noch einmal, als eine der Frauen auf der Leinwand „Fuck“ stöhnt, und am allermeisten, als das Lebkuchen-Pärchen wieder in die Tasche greift und eine Wasserflasche unter lautem Sprudeln und Zischen öffnet. Es ist ein bisschen wie auf einer Klassenfahrt, die Erwachsenen sind weg, alle sind nervös, und keiner weiß so richtig, wie er sich verhalten soll, um möglichst abgeklärt und cool rüberzukommen.

Später kuschelt das Pärchen, auf der Leinwand schlafen zwei Frauen miteinander, purer und reiner Sex, fast eine dreiviertel Stunde lang, ohne eingestreute Handlung. Was die beiden Frauen miteinander machen, wirkt liebevoll und zärtlich, und es ist irgendwie schön, zuzuschauen. Pornos können auch berührend sein.

Aber wo bleibt jetzt der Diskurs? Vielleicht hier: ein Vortrag über „Representation of Social and Political Taboos in Pornography: The Middle East as a Case Study“. Erste Überraschung: Die Frau im Zebrakleid ist die Referentin, sie stellt sich als Israeli Queer Activist vor. Zweite Überraschung: Der Saal ist richtig voll. Und die Dritte: Der Vortrag ist richtig lustig. Liad Kantorowicz erklärt, wie politisch heikle Fragen im Krisengebiet Einzug in die junge Pornoszene Israels finden. Dazu natürlich Filmbeispiele.

Zum Gaffen ist das wirklich nichts, wie die Sprecherin des Festivals Michaela Kay vor dem Festival schon klargestellt hat. Das Ganze ist eher ein Coitus interruptus, denn es geht bei den gezeigten Beispielen um das, was bei Pornos gern als Handlung bezeichnet wird, und nicht um die eigentlichen Sexszenen. Die bricht die Referentin einmal mit den Worten ab: „Ich will euch jetzt nicht mit Sex langweilen.“ Dafür gibt es höchst komische Bibelszenen und Auszüge aus dem ersten offiziellen Porno aus dem Libanon zu sehen. Der Diskurs wird hier einfach weggelacht. Die hier gezeigten Filme sprechen ohnehin für sich, indem sie deutlich machen, dass eine andere Pornografie möglich ist. ADRIAN RENNER