: Die Wohltäter
NOT Die Berliner Obdachlosenhilfe verteilt jede Woche Essens- und Kleiderspenden an Menschen, die auf der Straße leben. Freiwillige Helfer stellen die Touren auf die Beine. Dabei müssen sie einige Schwierigkeiten meistern
■ Die Berliner Obdachlosenhilfe ist ein gemeinnütziger Verein, den es seit November 2013 gibt. Mit der Unterstützung von etwa 50 Mitgliedern veranstaltet er ganzjährig an jedem Mittwoch und Samstag in der Woche eine Hilfstour. Dabei werden an jeweils drei Stationen – Leopoldplatz, Alexanderplatz und Kottbusser Tor – warmes Essen, Getränke und Bekleidung an Obdachlose und Sozialhilfeempfänger ausgegeben.
■ Der Verein finanziert sich vollständig aus Spendengeldern und ist auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen. Auf seiner Facebook-Seite und der Homepage www.berliner-obdachlosenhilfe.de informiert der Verein über seine Arbeit. Außerdem gibt es auch die Möglichkeit, online Geld zu spenden. Andere Spenden wie Kleidung oder Lebensmittel werden im Büro in der Buttmannstraße 1 a in 13357 Berlin-Wedding angenommen. (op)
VON LISA OPITZ
Es blubbert in riesigen Kochkesseln. Dampf steigt empor. Durch die Luft wabert der Geruch von Kohl und kräftiger Fleischbrühe. Ein Mann im löchrigem Pulli steht vor dem Herd, in der Hand hält er eine Kelle. Mit prüfendem Blick beugt er sich über das Gebräu, taucht dann die Kelle hinein und fischt eine Handvoll Knochen heraus.
Berlin-Wedding, 16 Uhr. Im Büro der Berliner Obdachlosenhilfe (BOH) in der Buttmannstraße 1a laufen die Vorbereitungen für den Abend an. Die Berliner Obdachlosenhilfe ist einer von mehreren Vereinen der Stadt, die sich für Obdachlose und Sozialhilfeempfänger einsetzt. Schätzungen zufolge leben in Berlin etwa 2.300 Menschen ohne Unterbringung. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein.
Immer Mittwoch und Sonnabend geht die BOH auf Hilfstour und verteilt heiße Getränke, Kleidung und warme Speisen. Ein kostspieliges Projekt, von dem derzeit nicht klar ist, wie lange es die Ehrenamtlichen noch stemmen können.
Den Verein Berliner Obdachlosenhilfe gibt es offiziell seit November 2013. Angefangen hatte alles bereits zwei Monate zuvor mit ersten „Schrippentouren“, erzählt Andreas Peter. Er ist einer der Gründer des Vereins und für die Organisation zuständig. „Die Lebensmittel für unsere ersten Touren haben wir damals von der Tafel organisiert“, erzählt er. Nach und nach sei dann ein kleines Netzwerk aus Spendern entstanden: Supermärkte, die aussortierte Waren zur Verfügung stellen, Hilfsorganisationen, umliegende Geschäfte, die Reste spenden, Nachbarn, die aussortierte Kleidung vorbeibringen. Auf der Facebook-Seite und der Homepage www.berliner-obdachlosenhilfe.de gibt es zudem die Möglichkeit, online Geld zu spenden.
Zurück in die Gesellschaft
Wenn es nach Andreas Peter ginge, der auch im Vorstand des Vereins sitzt, würde die BOH mehr tun. „Wir stecken noch in den Kinderschuhen“, sagt Peter. Er wünsche sich etwa eine zusätzliche Sozialberatung. Spricht Peter über die Zukunft des Vereins, strotzt er vor Ehrgeiz und Engagement. Er möchte etwas für die Menschen da draußen bewegen. „Wir wollen ihnen die Chance geben, wieder in die Gesellschaft zurückzufinden“, sagt er. Das sei das große Ziel des Vereins.
Doch dafür fehlen vor allem finanzielle Mittel. Und das ist nicht das einzige Problem, mit dem der Verein zu kämpfen hat. Weil es zuletzt interne Streitereien gab, sodass einige Mitglieder den Verein verließen, musste die Obdachlosenhilfe ihre Touren für vier Wochen streichen. Keine leichte Entscheidung für Vorstandsmitglied Andreas Peter, viele Obdachlose sind auf die Hilfe des BOH angewiesen. Doch seit dieser Woche nun sind die Freiwilligen Helfer wieder jeden Mittwoch und Samstag unterwegs – jetzt jedoch unter erschwerten Bedingungen, Ersatz für die ausgetretenen Vereinsmitglieder wird dringend gesucht.
Aus Spenden finanziert
Denn weil sich die BOH vollständig aus Spenden finanziert, ist sie bei ihrer Arbeit dringend auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen. Nicht nur beim Schnittenschmieren, Verpacken und Einladen – sondern vor allem beim Transport. Der Verein besitzt kein eigenes Fahrzeug zum Verladen der vielen Kisten und Säcke. So müssen sich bei jeder Tour Freiwillige finden, die ihr privates Auto zur Verfügung stellen. Drei Stationen werden angefahren: Leopoldplatz, Alexanderplatz und Kottbusser Tor.
Bevor die Autos beladen werden, packen freiwillige Helfer Hosen und Jacken in blaue Säcke. In der benachbarten Küche schwingt ein Mann die Kelle. Sein Name ist Achim Kläs. Vor jeder Tour kocht er hier das Essen. Heute gibt es, wie so oft, Eintopf.
Arschtritte vom Jobcenter
Achim Kläs, 55, Hartz-IV-Empfänger, ist ebenfalls einer der Gründer des Vereins. Seit dem frühen Morgen steht er in der Küche und bereitet das Essen vor. Jetzt hat er bald Feierabend. Er kenne die Sorgen vieler seiner Gäste, erzählt er. Denn er sei selbst vier Jahre lang obdachlos gewesen. Ein großes Problem sei, so sagt er, die deutsche Bürokratie. Viele der Menschen, die eigentlich Anspruch auf Sozialleistungen hätten, würden bereits bei der Beantragung scheitern. „In den Jobcentern bekommt man statt einer richtigen Beratung einen Arschtritt nach dem anderen“, schimpft er durch seinen Vollbart. Er erzählt von den vielen Schwierigkeiten, in die Obdachlose nach und nach geraten würden. Oft beginne es mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, dann werde das Geld immer knapper. Schließlich würden viele die Wohnung verlieren, vielleicht sogar Frau und Kinder … „Irgendwann ertränkt man seine Probleme dann einfach im Alkohol“, erzählt er. Dann kramt er aus seiner Hosentasche eine Packung Zigaretten hervor und verschwindet im Hinterhof.
Berlin Alexanderplatz. 19 Uhr. Aus dem VW Golf steigt eine dunkelhaarige Frau mit einem der blauen Plastiksäcke. Kerstin Manz* ist seit Mai 2014 Mitglied im Verein und bei fast jeder Tour dabei. Sie kennt viele der Männer und Frauen in den zerschlissenen Kleidern, die mittlerweile regelmäßig vor dem Fernsehturm warten. Während ihre Kollegen die Autos ausladen, läuft sie auf den Mann in der dunkelblauen Jacke zu, der auf einer der Holzbänke sitzt. „Warst du wegen deinem Bein beim Arzt?“, fragt sie ihn. Er hebt seinen Kopf und schaut sie mit glasigen Augen an. Neben ihm steht eine halbleere Flasche Wodka. Dann kramt er aus seiner Jackentasche ein Blatt Papier. „Befund nicht möglich aufgrund bestehender Sprachbarriere und weil der Patient berauscht ist“, liest sie vor. „Pffff“, schnaubt die Medizintechnikerin, „sie hätten ihn doch trotzdem röntgen können, egal ob er redet oder nicht!“
ANDREAS PETER, MITBEGRÜNDER DES VEREINS
Zuhören ist Teil der Hilfe
Der Mann ist Pole, spricht kein Wort Deutsch. Wie er kämen viele der Berliner Obdachlosen aus osteuropäischen Ländern, erzählt Kerstin Manz. „Sie haben es besonders schwer, da sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben“. Manz kennt die Probleme und Geschichten vieler Obdachloser. Es sei ihr wichtig, mit ihnen zu sprechen, einfach zuzuhören.
„Das ist auch Teil der Hilfe“, sagt Manz. Auch sie hadert mit den Problemen, mit denen sich die BOH immer wieder auseinandersetzen muss. „Der Verein strebt momentan nach mehr, als er erreichen kann“, sagt sie. In ihrer Stimme liegt Bedauern. „Am Ende sind es die Obdachlosen, die wieder darunter leiden.“ Genauer gesagt geht es um etwa 500 Menschen, die die BOH nach eigenen Angaben pro Woche versorgt.
Am Alexanderplatz packen die Freiwilligen langsam zusammen. Kottbusser Tor wird die letzte Station für heute sein. Ein grauhaariger Hutträger nimmt sich noch eine Banane aus einer der Kisten, bevor sie im Kofferraum verschwindet. Dann rollt das Auto auf die Straße und biegt um die Ecke.
*Name geändert