: Todesstoß für ein kleines Juwel
Aufklärung, chemische Reaktionen, die Ursachen des Ersten Weltkriegs: Es gibt nichts, was das Göttinger Institut für Wissenschaft im Film uns nicht erklären konnte. Jetzt steht das Institut selber ratlos vor dem Aus, auch wenn die oppositionelle SPD im Landtag und der Bürgermeister den Erhalt fordern
von JESSICA RICCÒ
Die Meisten kennen es aus dem Biounterricht: Der Streber baut den Projektor auf, die Fenstersitzer ziehen die Vorhänge zu. Und ab geht der Film über den Zitronensäurezyklus. Oder das Ökosystem Wald. Oder die Replikation von DNA. Das alles ermöglichte bisher die freundliche Unterstützung des Instituts für den Wissenschaftlichen Film in Göttingen.
Dort hat es sich nun leider ausgelehrt. In Zeiten, in denen Schüler über Youtube, Wikipedia und Google ohnehin Zugang zu scheinbar unerschöpflich viel Wissen haben, lässt sich niemand mehr von Filmen als alternativer Unterrichtsform beeindrucken. Zumal es ein Klacks ist, für Referate selbst einen Filmausschnitt in Powerpoint einzufügen.
Erkannt hat das IWF die Trendwende durchaus und seinen Schwerpunkt seit Ende der Neunziger Jahre auf die Aufbereitung wissenschaftlicher Medien verlegt. Anstatt selber Filme zu produzieren, sammelte das IWF audiovisuelle Medien und wurde so zu einer vielgenutzten Mediathek für Universitäten und Wissenschaftler. Ende der 90er Jahre folgte eine inhaltliche Schwerpunktverlagerung: Das IWF wandelte sich von einer produktions- zu einer transferorientierten Mediendienstleisterin für die Wissenschaft.
Um den Wandel auch nach außen zu dokumentieren, firmierte das Institut 2001 um in die Firma „IWF Wissen und Medien gGmbH“. Ihre Kernaufgabe besteht darin, audiovisuelle Wissensmedien aus der Wissenschaft zu akquirieren, zu optimieren und für Lehre und Forschung zu Verfügung zu stellen. Dazu hat „die IWF“, wie es seither heißt, in den letzten Jahren eine durchgehend digitale Systemplattform geschaffen. Über die eigene Systemplattform hinaus strebt die IWF eine umfassende Integration ihrer Medien in Bibliothekskataloge und hochschulinterne Informationssysteme an. So will sie dazu beitragen, dass audiovisuelle Medien in Forschung und Lehre dauerhaft und umfassend recherchiert und genutzt werden können.
Aber auch das rentiert sich auf Dauer nicht. Anstatt zu warten, bis ein entliehenes Video per Post geliefert wird, kann man schließlich auch wissenschaftliche Filme im Internet herunterladen. Dazu gibt es genügend kostenlose englischsprachige Seiten – schade, aber einleuchtend. Spätestens 2010 soll die IWF geschlossen werden. Bis dahin läuft der Abwicklungsplan, auf den man sich im Ausschuss für Forschungsförderung bei der Bund-Länder-Konferenz geeinigt hat: Während dem Personal peu à peu gekündigt wird, sollen lediglich die Onlinemedien weiter zur Verfügung stehen. Der übrige Medienbestand wird der Technischen Informationsbibliothek in Hannover übergeben. „Mit einer solchen radikalen Lösung haben wir nicht gerechnet“, beschwert sich der Betriebsrat des Instituts Paul Feindt. Bis zuletzt habe man auf eine Perspektive als Mediendienstleister für die Wissenschaft gehofft. Von der Schließung sind 54 Arbeitsplätze betroffen.
Auch wenn das Ende der IWF lange absehbar war, sind sich die Parteien uneinig, ob Rettungsversuche eine Chance gehabt hätten. „Der Beschluss, die Fördergelder der IWF zu streichen, geht auf eine negative Evaluation des Instituts zurück, da die SPD-geführten Vorgängerregierungen notwendige Strukturveränderungen nicht vorgenommen haben,“ macht der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, Lutz Stratmann (CDU), klar, wo er die Verantwortung für das bevorstehende Aus sieht.
Dem widerspricht die die wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Gabriele Andretta. „Wir fühlen uns vor Ort vom Land verschaukelt,“ meint die Politikerin. Nach außen habe das Ministerium stets erklärt, am Erhalt der IWF interessiert zu sein. Intern habe Stratmann jedoch von Anfang an die nun eingetretene Abwicklungslösung konsequent verfolgt. Statt einer Auflösung fordert sie eine Angliederung des Instituts an die Universitätsbibliothek in Göttingen. „Das IWF ist mit seinem Filmarchiv und als Mediendienstleister ein kleines Juwel und durch erhebliche Investitionen in eine moderne Infrastruktur und das Gebäude gut aufgestellt,“ sagt Andretta.
Auch Göttingens Oberbürgermeister Wolfgang Meyer (SPD) forderte gestern den Erhalt des Instituts. Die Abwicklung wäre „ein besonders fahrlässiger Umgang mit über Jahrzehnte gesammelter wissenschaftlicher Kompetenz“, sagte Meyer. „Eine Schließung bedeutet eindeutig das falsche Signal für die weitere Entwicklung des exzellenten Wissenschaftsstandortes Göttingen.“
Für eine Fortführung des Verleihsystems sprechen die Zahlen der letzten Jahre: Entgegen den Erwartungen wurde die IWF im Jahr 2006 monatlich etwa 50.000 Mal genutzt. Im Vorjahr waren es nur 30.000 Mal.
Am 19. November wird der Vertrag über das Ende der IWF-Finanzierung von der Bund-Länder-Konferenz bestätigt, ein rein formaler Akt. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, wie schnell Göttingen um ein Institut ärmer und die IWF nicht mehr sein wird als eine Fußnote in Wikipedia – und eine Erinnerung an Zeiten, als es noch Projektoren statt Beamer gab.