: Künstliche Beatmung
TROJANER 2 Der Kontrollfetisch ist eine Abwehrreaktion auf die Herausforderungen durch die technologische Entwicklung. Die Schulbuchverlage wollen das eigene „Artensterben“ abwenden
■ ist Lehrerbildnerin. Blog: shiftingschool.wordpress.com
VON LISA ROSA
In den Schulgeschichtsbüchern für die 8. Klasse kann man über die Erfindung der englischen „Spinning Jenny“ lesen. Diese moderne Baumwollspinnmaschine war der Anfang vom Ende der schlesischen Leinentextilfabrikanten, deren Technologie neben der „Jenny“ (und den nachfolgenden mechanischen Webstühlen) mit einem Schlag hoffnungslos veraltet war. Das Sterben zog sich über ein ganzes Jahrhundert hin. Trotz oder gerade wegen dieser langen Zeit haben die Fabrikanten bis zuletzt nicht verstanden, dass bei Strafe des Untergangs auf die neue Technologie hätte gesetzt werden müssen. So war ab einem bestimmten Zeitpunkt nichts mehr zu retten. Auch durch krassen Lohnabbau unter das Existenzminimum bei den Produzenten, den Handwebern, war das Ende der Branche nicht abzuwenden. Der Punkt, vor dem durch Anpassung an die neue Zeit etwas zu retten gewesen wäre, war längst überschritten.
Damals war es die industrielle Revolution, heute ist es eine Medienrevolution. Lerne aus der Geschichte! So viel zur Problemorientierung.
Lernen-aus-der-geschichte.de heißt auch eine der bekanntesten netzbasierten, projektorientierten und frei zugänglichen Lernmaterialsammlungen für Geschichte. Und damit zur Lösungsorientierung. Es geht dort nicht um die Rettung der Schulbuchverlage. Es geht um das Lernen im digitalen Zeitalter. Ebenso wie wir Textilien brauchen, brauchen wir Lernmaterial. Aber wie unsere Kleidung nicht vom schlesischen Textilfabrikanten stammen muss, so muss das Lernmaterial nicht vom Schulbuchverleger stammen.
■ … war das Blogthema der letzten Tage. Und wird es bleiben. Egal ob der Trojaner im strengen Sinne einer ist, der sich in Rechner von Schulen und Lehrern hineinfressen kann – datenschutzrechtlich bleibt die Chose fragwürdig. Irgendwie muss die Plagiatssoftware ja feststellen, ob das, was sie gerade filzt, urheberrechtlich Geschütztes aus Schulbüchern ist – oder private Notizen oder gar Noten. Für das neue Lernen ist aber wichtiger: Kann der Trojaner den Leitmedienwechsel weg vom Schulbuch stoppen? Drei LehrerInnen-Blogger diskutieren darüber. Derweil können die LeserInnen die Frage beantworten, ob der „Faust“-Rap zweier Gymnasiasten eine Urheberrechtsverletzung ist. Schüler zeigen, wie man aus einem (alten) Buch (lebendiges) Lernmaterial machen kann, online verfügbar. (cif)
Schon vor 25 Jahren während meines Referendariats war klar, dass man die SchülerInnen nicht mehr anhand eines Lehrgangslehrbuches durch einen vorgegebenen Lernpfad wie am Nasenring führt, sondern die Schulbücher verschiedener Verlage als Materialsammlungen („Steinbruch“) zur Herstellung eigener Unterrichtsmaterialien nutzt. Alle Lehrer tun es, und täten sie es nicht, wäre ihr Unterricht grottenschlecht und den Lernbedürfnissen ihrer SchülerInnen unangemessen. Die Erlaubnis, für den geschlossenen Klassenraum (gegen Pauschalabgeltung) aus Schulbüchern kopieren zu dürfen, hat den traditionellen Unterricht damals noch einmal gerettet, indem er ihn ein bisschen „schülerorientierter“ ermöglichte. Heute, unter den Bedingungen der Digitalität, ist auch das nicht mehr ausreichend für einen individualisierten Unterricht, der die Kompetenzen entwickeln hilft, die heute gebraucht werden.
Wir brauchen nicht nur digitale multimediale Materialien mit allen Möglichkeiten der interaktiven Bearbeitung, wie man sie schon an vielen Orten im Netz als Open Educational Resources kostenfrei längst bekommen kann. Wir brauchen auch neue Lernkonzepte, in denen die Social Media eine prominente Rolle spielen. Was soll da ein schweres offlinernes Schulbuch im Klassensatz?