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Archiv-Artikel

Im musikalischen Dialog – mit Teheran

DIGITALISIERUNG Die Universität Hildesheim archiviert aus Schallplatten und Tonbändern die Musik der Welt. Ob aus Ägypten oder dem Iran, die Forscher wollen das musikalische Erbe bewahren

Schön ist das Mithören, wenn einem die Musik gefällt, wenn nicht: durchhalten

Auch wenn er den Schlüssel zum ehemaligen Kirchenraum verwaltet, ist der 59-jährige Raimund Vogels kein Pfarrer. Denn die evangelisch-lutherische Timotheuskirche samt Pfarrhaus ist 2009 umgewidmet worden. Wo einst Ehen geschlossen und Kinder getauft worden, sitzt jetzt das „Center for World Music“ der Universität Hildesheim. Der Musikethnologe ist Direktor der deutschlandweit einzigartigen Einrichtung.

Hinter dem hochtrabenden Namen verbirgt sich eine Herkules-Aufgabe. Musikbestände digital zu archivieren, haben sich die Forscher und Forscherinnen zur Aufgabe gemacht. Es geht um Schallplatten und Tonbänder – aus aller Welt. „Im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft schaffen wir hier erst das Quellenmaterial, aus dem dann Forscher über Generationen heraus schöpfen können“, sagt Vogels.

Denn Tonaufnahmen seien eine wichtige kulturhistorische Quelle – und eine sehr schwierig zu handhabende – „denn ohne Ordnungssystem und Zugriff funktioniert gar nichts“, sagt Vogels. Die historische Technik ist, vor allem bei Tonbändern, oft nicht mehr überall verfügbar. „Wenn wir mit einer Sammlung durch sind, dann können Forscherinnen überall auf der Welt auf unsere Datenbanken zugreifen.“ Bei Bedarf verschickt das Center auch digitale Tonbeispiele – zu Forschungszwecken.

Mittlerweile haben sich die Hildesheimer Forscher mit ihrer Arbeit ein weltweites Renommee erworben. Auch in Kairo haben sie monatelang digitalisiert. Der Auftrag, an dem sie im Moment arbeiten, ist auch für Vogels und seine Kollegen ein besonderer. Mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes und der Stiftung Niedersachsen bearbeiten sie das musikalisches Erbe des Irans.

„Ein Auftrag mit hoher politischer Symbolkraft“ sei das, sagt Vogels. Das Musikmuseum Iran in Teheran habe sich wegen ihrer großen Erfahrung an die Hildesheimer gewendet, obwohl die Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit dem Westen in dem Land groß seien. „Es geht ganz viel darum, Vertrauen aufzubauen“, sagt der Archivar.

Die Platten und Tonbänder dürfen den Iran nicht verlassen. Deshalb reisen die Forscher mitsamt ihrem Equipment in das islamische Land. Wie das aussieht, zeigt uns Doktorand Samuel Mund. In einer Schallplatten-Waschmaschine, die heißt wirklich so, werden die Platten vom Staub befreit. Statt Töne abzunehmen, verteilt ein Fühler eine Gelatine ähnliche Flüssigkeit auf dem wertvollen Vinyl. „Ein normales Staubtuch bringt es nicht“, sagt Mund, „da verteilt man nur den Schmutz.“

Nach dem Waschen ist die Platte vorbereitet für den Digitalisierungsvorgang. Dafür muss der Tonträger in Echtzeit abgespielt werden. „Wir müssen die ganze Zeit zuhören“, sagt Mund, „und nachjustieren, wenn etwas nicht richtig klingt.“ Schön sei das, wenn einem die Musik gefalle, wenn nicht, heiße es durchhalten. Eine Herkules-Aufgabe sei der Digitalisierungsvorgang, angesichts von 16.000 iranischen Tonträgern auf jeden Fall.

Viel wichtiger als der technische Vorgang sind jedoch die gesicherten Inhalte. Neben fast der gesamten iranischen Musikgeschichte, finden sich in den Sammlungen auch Rundfunkmitschnitte, „im Prinzip ist die gesamte gesellschaftliche Entwicklung seit Anfang des 20. Jahrhunderts in diesen Aufnahmen präsent“, sagt Vogels. Eine Geschichte, die in dem totalitären Land erst noch von einer unabhängigen Geschichtswissenschaft aufgearbeitet werden muss.

Die Aufarbeitung der Quellen ist für eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung ein Anfang. Die kostenlose Zurverfügungstellung von deutschem Know-how für den Iran habe „selbstverständlich“ eine politische Dimension. „Denn das Auswärtige Amt fördert beileibe nicht alle unsere Projekte“, sagt Vogels. Für ein Projekt zur Aufarbeitung jamaikanischer Reggae-Aufnahmen, die in feuchten Kellern vor sich hingammeln, sei die ministeriale Begeisterung nicht ganz so groß gewesen. „Das sollten doch die Amerikaner machen.“ ALEXANDER KOHLMANN