piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ich glaube an eine Renaissance der Bibliotheken“

REFORM Weniger Vielfalt durch Rationalisierung? 11.000 BerlinerInnen unterschrieben eine Petition gegen die geplante Bibliotheksreform. Volker Heller, Chef der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, über die Kontroverse und Emanzipation durch Wissen

Volker Heller

■ 56, Vorstand und Managementdirektor der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB).

INTERVIEW NINA APIN UND UWE RADA

taz: Herr Heller, erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Bibliotheksbesuch?

Volker Heller: Das war als Jugendlicher. Ich hab da Bücher von Sartre und Camus ausgeliehen. Das hatten meine Eltern nicht im Bücherregal.

Die Bibliothek hat also zur Verfügung gestellt, was das Elternhaus nicht liefern konnte. Ist das heute immer noch so?

Es ist die Kernfunktion der Bibliotheken, dass sie Orte von Emanzipation und Aufklärung sind. Dass sie Zugänge zu Informationen bieten, die mir sonst verborgen blieben. Ich kann mich dort von Vorurteilen emanzipieren oder von Aberglauben, überparteilich, überkonfessionell und frei von manipulativen Interessen. Dafür ist die Bibliothek nach wie vor der garantiert öffentlich-rechtliche Ort.

Das ist die Kontinuität. Worin besteht der Wandel? Die Bibliothek des 21. Jahrhunderts hat sich gegenüber der, in der Sie als Jugendlicher Sartre ausgeliehen haben, ja radikal verändert.

Die Anforderungen des Publikums sind anders: Die Bibliothek ist heute zum Beispiel viel stärker als früher ein Arbeitsort.

Warum eigentlich? Die Kinderzimmer, die Wohnungen werden im Durchschnitt doch immer größer.

Aber nicht bei jedem. Oft hat nicht jedes Kind ein Zimmer, in dem es in Ruhe seine Hausaufgaben machen kann. Gerade im Vergleich mit anderen Bibliotheken hat die ZLB einen hohen Anteil von Jugendlichen, die hier arbeiten wollen. Da stoßen wir an unsere Kapazitäten. Aber auch für andere Altersgruppen sind Bibliotheken Orte, an denen sie in einem belebten Umfeld konzentriert arbeiten können und jederzeit Zugang zu weiteren Informationen haben.

Wie reagieren die Bibliotheken auf diesen Trend?

Sie laufen ihm hinterher. Selbst da, wo Bibliotheken neu gebaut wurden wie in Stuttgart, reicht die Zahl der Arbeitsplätze bald nicht mehr aus.

Was gibt es sonst an Veränderungen?

Ich glaube an eine Renaissance der Bibliotheken als öffentliche Diskursorte der Stadtgesellschaft. Orte, an denen man sich zu den politischen und kulturellen Themen gezielt informieren kann.

Sie meinen die sogenannten Themenräume, die Sie und die Bundeszentrale für politische Bildung zu Ereignissen wie 25 Jahre Mauerfall oder zur Berlinale eingerichtet haben?

Genau. Das sind Themen, zu denen wir Interessierte für deren Diskurse auf einem hohen Wissensniveau unterstützen können. Das ist die Idee von Bibliothek im Zentrum der Stadtgesellschaft.

Kann man sagen: Die Hardware, also Ihr Kerngeschäft mit der Ausleihe von Medien, spielt nicht mehr eine so große Rolle, deshalb setzen Sie verstärkt auf Software, also neue Tools zur Wissensvermittlung.

Ja, und forciert wird dies vom technologischen Wandel. Die Hardware, in Gestalt des gedruckten Papiers, ist zwar nicht am Verschwinden, wird aber zunehmend ergänzt von elektronischen Medien. Ganz besonders schnell passiert dies in der Wissenschaft und dort wiederum bei den Naturwissenschaften. Die Bibliothek von morgen ist also viel hybrider als die Bibliothek von heute.

Sie haben auf diese Entwicklung reagiert. Unter anderem hat der Stiftungsrat der ZLB beschlossen, dass der Einkauf von 24.000 Büchern pro Jahr nicht mehr von den eigenen Lektoren besorgt wird, sondern vom privaten Dienstleister EKZ in Reutlingen. Der liefert regalfertig die Standards für das sogenannte Massengeschäft. Also massive Einsparungen, die auch auf massive Kritik stoßen.

Wenn sich die Welt um uns herum verändert, müssen wir reagieren. Neue Services in einer veränderten Medienwelt müssen personell bestückt werden. Wir haben aber schon im laufenden Betrieb Personalknappheit. Wenn eine Tarifsteigerung kommt, führt das dazu, dass wir manche Stellen nicht nachbesetzen können. Die Servicedichte in den Randstunden ist dann nicht mehr so einfach einzuhalten, auch nicht die Bereitstellung aktueller Medien. Wir müssen also sehen, wie wir Personal entlasten, um neben den jetzigen auch die neuen Aufgaben wahrnehmen zu können.

Das ist also der Grund für die neue Einkaufspolitik?

Wir nennen das Bestandsentwicklung. Es geht darum, wie wir den Einkauf sinnvoll und weniger personalintensiv organisieren.

Künftig wird also in Reutlingen ausgesucht, was Berlin bekommt. Kritiker fürchten um die Vielfalt und die thematische Breite. Denn bislang haben die ZLB-Lektoren für ihren Fachbereich die Neuerscheinungskataloge durchgesehen und sorgfältig entschieden.

In diesem Segment des Breitenbedarfs übernimmt das zukünftig eine bundesweite Kooperation von einer Vielzahl an Bibliotheken und Lektoren, die die Medienauswahl erstellen, die dann von der EKZ geliefert wird.

Bedeutet das nicht auch eine Schwächung des lokalen Buchhandels, bei dem die ZLB bisher bestellt hat?

Es gibt Angebote der EKZ, in Kooperation mit dem lokalen Buchhandel zu arbeiten. Und wir führen auch eigene Gespräche über weitere Zusammenarbeit mit dem Berliner Buchhandel. Am Ende ist aber klar, dass die ZLB einen wirtschaftlichen Mitteleinsatz verantworten muss.

Also wird das günstigste Angebot den Zuschlag erhalten.

Umstrittene Reform

■ Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) ist Deutschlands größte öffentliche Bibliothek mit rund 3,4 Millionen verfügbaren Medien an zwei Standorten. Sie gilt als am besten besuchte Kultur-und Bildungseinrichtung Berlins.

■ Um Personalkosten einzusparen, hat der Stiftungsrat der ZLB im Dezember umfangreiche Strukturreformen beschlossen. Künftig soll ein Großteil der Medieneinkäufe durch einen externen Dienstleister mit Sitz in Reutlingen besorgt werden. Grundlage der Reform ist ein Gutachten zweier Bibliothekswissenschaftler, dem die ZLB nun folgen will.

■ Doch das Konzept hat Kritiker: Sie befürchten dadurch eine Verflachung des Angebots und eine Reduzierung des Bücherbestands. Eine Online-Petition gegen die Reform erhielt bisher mehr als 11.000 Unterschriften.

Der wirtschaftlichste Mitteleinsatz ist der, der den Kriterien an Qualität, Aktualität, Geschwindigkeit und Preis entspricht. Beschlossen ist bislang lediglich, dass wir 24.000 Medien über Standing Order bestellen. Offen ist, ob wir ergänzend oder in Teilen ersetzend noch auf andere Anbieter zurückgreifen. An der Beantwortung solcher Fragen arbeiten wir in den nächsten Monaten. Im Übrigen haben wir insgesamt circa 70.000 Medienzugänge pro Jahr, davon sind etwa 50.000 Buchzugänge. Neben der zukünftigen Standing Order und den weiteren Bestellungen durch unsere Lektoren gibt es zum Beispiel noch die Pflichtzugänge, etwa durch die in Berlin ansässigen Verlage. Das sind 180, Tendenz steigend. Wir bekommen das gesamte Suhrkamp-Sortiment, Aufbau, Cornelsen, die Wissenschaftsverlage. Letztere werden von den Kritikern unserer Neustrukturierung gern ausgeblendet, weil sie eben nicht von den Lektoren gekauft wurden.

Eine Onlinepetition gegen Ihre Reform wirft Ihnen vor, Bibliotheken kaputt zu rationalisieren, ja sogar Bücher zu vernichten. Mehr als 11.000 Berlinerinnen und Berliner unterschrieben bereits.

Diese Petition will unter dem historisch belasteten Begriff „Büchervernichtung“ Empörung schüren auf der Basis einer haltlosen Faktenlage. Da wird zum Beispiel behauptet, jedes Buch, das zwei Jahre nicht ausgeliehen wurde, würde künftig vernichtet. Das stimmt nicht! Die ZLB nimmt ihre Archivfunktion sehr sorgfältig wahr. Was stimmt, ist, dass sich das Berufsbild und die Aufgabenbereiche des Bibliothekars stark verändern werden. Ich kann verstehen, dass da vielen Kollegen das Herz blutet. Aber wenn wir eine Bibliothek haben wollen, die auch zukünftig für alle Nutzer interessant ist, dann müssen wir den Reformprozess angehen, den das Gros der deutschen Bibliotheken schon längst durchlaufen hat.

Hätte es diesen Prozess so auch gegeben, wenn die ZLB einen Neubau auf dem Tempelhofer Feld bekommen hätte?

Vielleicht nicht in dem Tempo. Der Neubau hätte uns in die Lage versetzt, Personal an einem Standort zusammenzuziehen. Das hätte es uns erleichtert, den Publikumsservice zu verstärken. Was ist der Stand bei der Debatte über den neuen Standort? In der letzten Sitzung des Kulturausschusses hat Kulturstaatssekretär Tim Renner betont, dass noch keine Entscheidung gefallen sei.

Natürlich gibt es da immer wieder einzelne Signale aus den Parteien, insbesondere Sympathiebekundungen für den Standort AGB. Aber zunächst wird der Senat wohl noch eine gründliche Prüfung der möglichen Standorte durchführen.

Ihr Leuchturmprojekt soll die „Welt der Sprachen“ im Humboldt-Forum sein. Wie muss man sich das vorstellen?

Wir haben wunderbare und innovative Pläne. Die müssen aber noch vom Land Berlin bestätigt werden. Darauf warte ich, denn der Baufortschritt ist ja zunehmend sichtbar.

In den Medien war immer wieder zu lesen, dass genau an dem Engagement der ZLB im Humboldt-Forum gespart werden könnte. Ist die ZLB für das Land denn noch eine finanzielle Spielmasse?

Der Regierende Bürgermeister hat sich in den Medien dazu bekannt, dass Berlin an seinen Flächen im Humboldt-Forum festhält. Aber natürlich wird das etwas kosten. So ein innovatives Projekt für diesen herausgehobenen Standort lässt sich nicht aus dem regulären Kostenrahmen einer Einrichtung wie der ZLB finanzieren.