piwik no script img

Archiv-Artikel

Freier und Geliebte

Geschlecht Juchitán, ein kleiner Ort, mitten im katholischen Mexiko, ist bekannt für seine Muxhes. Sie erkämpfen ihre Freiheit in Frauenkleidern

„Die Muxhes sprengen die Tabus, die in den Köpfen der Menschen existieren“

PFARRER HERRERA, JUCHITÁN

VON LISA MARIA HAGEN

Carlos Alejandro quetscht seinen Penis in einen Damenslip. Eine Nummer kleiner, damit alles fest sitzt. Wimper für Wimper klebt er sich den Augenaufschlag auf rosaroten Glitzerstaub. Die Barthaare hat er sich zuvor gezupft. An den Stoppeln klumpt das Make-up. Einlagen schummeln seine Brust von null auf Körbchengröße B. Absätze klappern, es quietscht, das Eisentor schwingt auf. Carla Castillo stöckelt hinaus in die Mittagshitze.

Carla Greta Castillo, 27, ist eine von etwa 2.000 Männermädchen, den Muxhes, in Juchitán, einer erzkatholischen Stadt mit 93.000 Einwohnern. Muxhes, das sind Männer, die sich als Frauen kleiden, fühlen und leben. Sie sind keine Transvestiten, denn ihre Weiblichkeit sprengt den bloßen Kleiderschrank. Sie sind keine Transsexuellen, würden nie ihr letztes Stück Männlichkeit ans Messer liefern. Und sie sind keine Homosexuellen, denn beim Sex und im Alltag empfinden sie sich als Frauen.

Am Isthmus von Tehuántepec, jener Landenge, an der der Pazifik beinahe den Golf von Mexiko berührt, sind die Muxhes das Produkt einer konservativen Kultur.

Carla Castillo fasziniert das Frausein in allen Facetten. Als Kind spielte sie mit den Mädchen aus der Nachbarschaft, versteckte die Puppen unter ihrem Bett. Mit 14 steckte sie ein Muxhe-Freund in ein gelbes Kleid, enthaarte und schminkte sie. Zusammen durchtanzten sie die Nacht. Von da an weigerte sich Carla Castillo, ihre Weiblichkeit in die männliche Schuluniform zu sperren und ging nicht mehr zum Unterricht. Bis heute hat Carlos Alejandro Hausarrest und Carla Castillo liebt die Zügellosigkeit.

Die Muxhes: Hausmädchen, Geldverdiener und Pflegeschwester in einem – das perfekte Kind, das seine Eltern nie für eine eigene Familie verlassen wird. Mexikanische Zeitungen schreiben, dass die Eltern aus Juchitán sich ein Muxhe-Mädchen wünschen. Carla Castillo hat das anders erlebt.

„Als mein Mann unseren Sohn mit Puppen spielen sah, hat er ihn grün und blau geschlagen“, erzählt Castillos Mutter, Alejandra Matús. Danach sei ihr Mann gegangen und nicht mehr wiedergekommen. Er hätte es nicht ertragen, dass sein einziger Sohn „eine Schwuchtel“ sei.

Auf der Straße vor dem Elternhaus feiern die Nachbarn ein Fest zu Ehren der Jungfrau Maria. Carla Castillo schäkert mit den Männern auf der Bank. Der pinkfarbene Trachtenrock schwingt sanft um ihre Hüften.

„Nach drei Töchtern dachte ich, der Herrgott hätte uns endlich einen Sohn geschenkt.“ Als sie merkte, dass ihr Sohn ein Männermädchen ist, weinte Alejandra Matús. „Aber ihn verstoßen? Er ist mein Kind, ich liebe ihn.“ Alejandra Matús darf ihr Kind nicht Carlos nennen, Carla will sie es nicht nennen. Sie ruft es Flaco, Spargel, als den dünnen Jungen, der Carla Castillo früher war.

Später, die letzten Sonnenstrahlen blinzeln durch das Hoftor, Castillo sitzt auf einem Plastikstuhl, die Haare fest zu einem Dutt gezurrt. Mit einer Nähmaschine hämmert sie Faden in den Stoff. Rosa Blüten auf schwarzer Seide. Die schönsten Trachten sind von Muxhes gefertigt. Handwerkliches Geschick, Fleiß und Vermögen – dafür stehen sie.

„Er kann alles, die Nachbarn lieben ihn, er verdient gut“, sagt Mutter Alejandra. „Aber so wie er das Geld einnimmt, gibt er es auch aus“, klagt sie. Ihre Pesos steckt Castillo in Geschenke für ihren Freund, und in das Hotel, in dem sie sich treffen, um miteinander zu schlafen. Eigentlich schläft er mit ihr, denn ein Muxhe benutzt seinen Penis nicht. Ein Muxhe wird geliebt, statt selbst zu lieben. Sogar Selbstbefriedigung ist verpönt. „Ich komme, ohne mich selbst anzufassen“, sagt Carla Castillo. Eine Frau masturbiere schließlich auch nicht, meint sie.

Ihr Liebhaber und sie sehen sich heimlich, jeden Tag. Er hat geheiratet, vergangenes Jahr. Carla Castillo hat genäht. Ein Brautkleid für seine Verlobte, weiß und weich.

Die Seitensprünge konnten ihre Enttäuschung nicht übertünchen. „Ich habe immer mich in diesem Kleid gesehen.“ Manchmal, wenn sie sich streiten, sage sie: „Verlass deine Frau, lass uns gehen, nach Mexiko-Stadt“, dann wolle sie ihn schütteln, mit sich reißen. Und er schweigt. Im Juni erwartet seine Frau das zweite Kind. Sie möchte Castillo als Patentante.

Die Muxhes: Schattenfrauen. Freier. Geliebte. Sie verstehen die Freiheit Juchitáns als eine Freiheit, sich das zu nehmen, was sie wollen.

Was hier geschehe, sei Hurerei, eine Jagd nach Vergnügen, Irrsinn, sagt die Journalistin Guadalupe Rios. In Juchitán tarne sich die Zweckmäßigkeit als Toleranz. Eine Frau heirate einen Muxhe, um nicht als alte Jungfer zu enden. Eine Mutter akzeptiere ihren Muxhe-Sohn, damit er sie unterhält und pflegt. Und die Männer schliefen mit den Muxhes, weil die ihnen Geld geben, Geschenke kaufen.

Innerhalb der letzten Jahre sei ihr Verhalten in eine Show ausgeartet, meint Ríos. Zu zwei der traditionellen Feiern der Stadt werden die Muxhes nur noch in Männerkleidung eingelassen, und die Damentoiletten bleiben ihnen verschlossen. „Richtig so“, sagt Ríos, die Muxhes würden Rechte einfordern, die ihnen nicht zustehen. Denn: „Muxhes sind keine Frauen.“

Die Muxhes aber feiern ihre Weiblichkeit einmal im Jahr. Aus sämtlichen Bundesländern und aller Welt reisen Muxhes, Transvestiten und Homosexuelle nach Juchitán, um gemeinsam, jetzt im November, die Muxhe-Königin zu krönen.

Der Weg zur Krone ist vor allem teuer. Ein ganzes Jahr lang hat Mística, die im Jahr 2010 Königin wurde, gearbeitet, um die nötigen 5.000 Euro zusammenzukratzen. Das Kleid allein ließ sie sich 730 Euro kosten, schließlich wollte sie die Königin des Vorjahres ausstechen. Das hat sie getan, um 300 Euro.

„Ein Muxhe ist großzügig“, sagt sie, „zwar sind wir allein im Leben, aber unser Leben ist dazu da, es mit den anderen zu teilen.“

In den nächsten Wochen wird Mística wohl ihre Krone an Carla Castillo übergeben. Seit Jahren spart die für den großen Tag. Ihr Kleid muss noch schöner, noch teurer werden. Außerdem sind da noch der Tanzkurs, eine Radikaldiät, Hormone für breite Hüften und einen runden Hintern, die Silikonimplantate.

Die Messe zur Feier wird wie jedes Jahr Pfarrer Arturo Francisco Herrera halten, den alle nur Padre Pancho nennen. Muxhes haben eigentlich keinen Platz in der katholischen Lehre, aber Sünde sei nur, was der Gesellschaft Schaden zufüge, sagt Padre Pancho. „Und die Muxhes schaden niemandem.“ Ob sie nun Brüder oder Schwestern seien – sie verdienten Respekt.

„Die Muxhes sprengen die Tabus, die in den Köpfen der Menschen existieren.“ Es gebe Kollegen, die sie etwa als Taufpaten nicht akzeptierten. Er selbst sieht das locker. „Ich spitze ihnen bestimmt nicht unter den Rock, um sicherzustellen, dass sie ganz Frau sind.“

Männermädchen gibt es immer mehr. Für die Jungen und Schönen unter ihnen ist der Sex umsonst. Für alle anderen verwandelt sich das Vergnügen immer häufiger in einen Wettstreit. Wer einen Mann zuerst anmacht, steckt ihm einen Schein zu und genießt. „200 Pesos für einen guten Fick, und die meisten Männer steigen sofort drauf ein“, sagt Carla Castillo. Mit ihren 27 hat sie das nicht nötig. Noch nicht.

Schweißperlen rinnen über Carla Castillos Oberlippe. Sie versucht sie loszuwerden, ohne das Make-up zu verwischen. Doch die Hitze lässt die Maske laufen.

Carla Castillo will sterben, bevor sie 35 ist. Bevor sie sich zum Clown macht und Sex nur noch für Geld bekommt. Bevor sie einsam wird.