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Archiv-Artikel

„Das Sozialamt begreift es nicht“

Rosenkötter und Co. haben aus dem, was im Untersuchungsausschuss „Kevin“ deutlich geworden ist, bisher zu wenig Konsequenzen gezogen, findet der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Klaus Möhle

lnterview: Klaus Wolschner

taz: Herr Möhle, die Bremer Tagesmütter haben sich über das Amt für Soziale Dienste beklagt und auf fehlende Kommunikation hingewiesen. Das erinnert ein wenig an den Fall Kevin …

Klaus Möhle, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen: Nicht nur ein wenig. Es ging damals im Untersuchungsausschuss um die syrische Tagesmutter von Kevin. Die wollte dem Amt melden, dass der Zweijährige einen gebrochenen Fuß hatte. Das kam im Amt nicht an. Erst bekam sie keinen Kontakt und dann nahm das niemand ernst. Am Ende musste sie auch noch unendlich lange auf ihre paar Euro Geld warten. Tagesmütter werden sehr schlecht entlohnt für ihre wichtige Arbeit. Mich hat empört, dass das immer noch so zu sein scheint.

Im Jugendhilfeausschuss ist doch vor acht Wochen über das Problem geredet worden.

Das glaube ich gern. Geredet wird viel, wenn der Tag lang ist. Die Frage ist, was passiert, und ich finde: viel zu wenig. Mir geht es um die Sache, unabhängig von der Frage, wer gerade regiert.

Im Zusammenhang mit dem Fall Kevin hat auch die Methadonvergabe eine Rolle gespielt. Hat sich da etwas geändert?

Ich habe für mich selbst zwei Schlussfolgerungen gezogen aus dem, was wir im Ausschuss gehört haben. Die eine ist: Akzeptierende Drogenhilfe kann man machen, aber wenn Kinder im Spiel sind, muss es eine lückenlose Kontrolle geben.

Gibt es die jetzt?

Ich sehe keine Veränderungen. Und es gibt ein zweites Problem. Der Arzt, der dem Ziehvater von Kevin Methadon gegeben hat und als dessen Vertrauter auch im Amt für Soziale Dienst ernst genommen wurde, hatte nur Methadonpatienten. Das kann nicht gut sein, dass eine freie Arztpraxis nur davon lebt. Wir waren im Ausschuss einhellig der Auffassung, dass es schlauer wäre, Methadon-Vergabe in staatlicher Verantwortung über das Gesundheitsamt zu organisieren. In welchen Räumlichkeiten das passieren sollte, müsste man dann sehen. In dieser Frage ist überhaupt noch nichts passiert.

Hat das Gesundheitsamt derzeit eine Art Aufsichtsfunktion bei der Methadonvergabe?

Nicht wirklich. Im Fall Kevin war es so, dass auch die Familienrichterin deutlich gemacht hat, dass sie dem Methadon vergebenden Arzt nicht traut. Der hatte einen schlechten Ruf. Dennoch hat das Gesundheitsamt nicht eingegriffen. Der ist erst aus der Methadonvergabe rausgeflogen, als Kevin tot war. Solche Zustände können nicht richtig sein.

Die Tagesmütter haben erklärt, dass sie vor allem mit dem Sozialzentrum Gröpelingen Probleme haben, wo ja auch die Akte Kevin lag.

Dass sie gerade da Probleme haben, wundert mich nicht. Mich haben mehrere Leute angesprochen, die versucht haben, mit diesem Sozialzentrum in Kontakt zu bekommen, weil sie Problemfälle hatten, und die haben mir berichtet, dass die Stimmung dort genauso sei wie vorher, und es hätte sich überhaupt nichts getan. Das finde ich enttäuschend und gleichzeitig empörend. Eine Pflegemutter hat sich an mich gewandt und gesagt, dass sie ein Kind aus einer Familie hat, in der auch andere Kinder unter abenteuerlichen Umständen leben müssen. Und sie rennt beim Jugendamt gegen eine Wand. Sie hat mich verzweifelt gebeten, mich da einzuschalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Selbstverständnis der Mitarbeiter im Sozialzentrum Gröpelingen nach wie vor nicht in Ordnung ist. Es gibt da eine hoch entwickelte Rechtfertigungskultur und wenig Engagement, etwas zu verbessern und zu verändern.

Es hat kürzlich, ein Jahr nach dem Auffinden der Leiche von Kevin, eine große Runde im Sozialressort gegeben, bei der alle Verantwortlichen eine Zwischenbilanz ziehen wollten.

Die Senatorin hat Recht, wenn sie sagt: Die Konsequenzen aus dem Verhalten des Amtes im Falle Kevin zu ziehen, ist ein Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber Prozesse können schnell und können langsam gehen. Dieser Prozess geht sehr, sehr langsam vonstatten. Bei dieser Runde habe ich verschiedene Beiträge gehört nach dem Motto: Wir haben alles richtig gemacht. Die alten Rechtfertigungen, die mich im Ausschuss schon genervt haben. Es wird von der Senatorin immer auf das Nottelefon hingewiesen und ein paar zusätzliche Stellen. Aber was wir brauchen, ist eine komplette Neuausrichtung des Amtes.

Es gibt einen neuen Leiter des Amtes für Soziale Dienste, dem ein guter Ruf vorausgeht.

Der war auch auf diesem Treffen. Vielleicht braucht der etwas mehr Zeit. Aber wir haben nicht unendlich viel Zeit.

Sieht die Spitze des Sozialressorts das Problem?

Ich glaube, dass die bemüht sind. Aber ich habe den Eindruck, dass sie immer noch nicht begriffen haben, dass es um mehr geht als an kleinen Stellschrauben zu drehen. Ich habe jetzt gehört, dass sie in Brennpunkten Sozialarbeit kürzen wollen. Das kann doch nicht richtig sein. Wir haben als Ergebnis unserer Arbeit im Ausschuss vorgeschlagen, dass es eine konzertierte Aktion aller beteiligten Ressorts in diesen Stadtteilen geben müsse. Ich habe nicht gehört, dass da etwas passiert.