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Archiv-Artikel

Wie viel Peitsche braucht der Mensch?

Die schleswig-holsteinischen Grünen-Politiker Robert Habeck und Monika Heinold streiten über das Grundeinkommen und darüber, was Erwerbslosen abverlangt werden darf. Beide wollen höhere Steuern, um die Hilfebedürftigen stärker zu fördern

KÖPFE UND KONZEPTE

ROBERT HABECK, 38, grüner Landesvorsitzender, schlägt ein Grundeinkommen vor: Jeder Erwachsene erhält 500 Euro, Kinder 400 Euro. Finanzierung: Durch wegfallende Bedarfsprüfungen wird gespart. Der Steuersatz steigt auf 35 Prozent. Bis zu einem Einkommen von 3.500 Euro wird er durch das Grundeinkommen aufgefangen, darüber steigt die Steuerlast. Die Idee: Da das Leben gesichert ist, werden es Menschen eher wagen, sich selbständig zu machen, fortzubilden oder den Job zu wechseln. MONIKA HEINOLD, 48, Landtagsabgeordnete, favorisiert die Grundsicherung: Das Hartz-System wird weiterentwickelt. Wer bereit ist, etwas zu leisten, erhält „Grundsicherung plus“ von 420 Euro. „Bedarfsgemeinschaften“ werden abgeschafft. Die Finanzierung: Die Erbschaftssteuer steigt, Steuersubventionen werden abgebaut. Für die Kindergrundsicherung werden Familienleistungen zusammengefasst. Die Grundsicherung ist Teil eines Gesamtkonzepts, in dem vor allem die Bildung ausgebaut wird.  EST

MODERATION ESTHER GEISSLINGER

taz: Herr Habeck, mit dem von Ihnen vorgeschlagenen Grundeinkommen sollen „Vertrauenskultur und demokratisches Engagement“ entstehen. Wie das?

Robert Habeck: Indem die Gesellschaft ihre Spielregeln neu definiert. Ich glaube, dass die Jetzigen nicht mehr gut funktionieren und dass ein neuer Aufbruch notwendig ist.

Sie kritisieren beide das jetzige System. Wo sind Sie sich uneinig?

Monika Heinold: Das jetzige Hartz IV-System hat nicht gehalten, was versprochen wurde. Es muss zu einer armutsfesten Grundsicherung umgebaut werden. Bleiben soll aber das Prinzip Fördern und Fordern: Wer unterstützt wird, soll bereit sein, sich auch selbst in die Gesellschaft einzubringen. Solidarität ist keine Einbahnstraße.

Habeck: Solidarität heißt doch, dass man den Schwächeren hilft. So gesehen ist Solidarität sehr wohl eine Einbahnstraße. Wenn einem Bedürftigen etwas Geld gegeben wird, ist er mir erst mal gar nichts schuldig. Um Engagement zu erzielen, muss man umstellen von einem Bestrafungssystem zu einem Anreizsystem.

Heinold: Auch ich will kein Bestrafungssystem, sondern ein Anreizsystem. Aber ich will kein Grundeinkommen, das statt aktivierender Maßnahmen nur ein bedingungsloses Recht auf Geld beinhaltet.

Habeck: Richtig ist, dass es einen Vorschuss unabhängig von der Prüfung der Bedürftigkeit gibt. Förderungen wird es eher mehr als heute geben.

Heinold: Aber nur für diejenigen, die es gelernt haben, sich selbst darum zu kümmern. Alle aktivierenden Maßnahmen fallen weg. Das halte ich für fatal, denn damit landet ein Teil der Bevölkerung endgültig auf dem Abstellgleis. Die „dritte Generation Sozialhilfe“ wird so verfestigt statt aufgebrochen.

Sie haben die Pfui-Begriffe Förderung und Fordern schon gebraucht. Was unterscheidet Ihr Modell vom heutigen?

Heinold: Wir wollen eine positive Aktivierung, keine unsinnigen Strafmaßnahmen. Jeder soll sich mit seinen Vorstellungen einbringen können. Ob ehrenamtliches Engagement oder Pflege von Angehörigen, auch das ist ein Beitrag für die Gesellschaft.

Habeck: Wir fordern, dass in der Schule motiviert wird statt bestraft. Kaum verlässt man die Schule, drehen wir den Spieß um. Wenn die Kontrollen abgebaut werden, haben die Mitarbeiter der Argen Zeit zu helfen. Monika wird jetzt sagen: Die Arbeitslosen müssen gezwungen werden.

Heinold: Das ist doch Quatsch. Auch ich will weg von den jetzigen Strafmaßnahmen und hin zu sinnvollen Maßnahmen. Aber ich habe noch eine weitere grundsätzliche Kritik am Modell des Grundeinkommens: Alle, die heute von Hartz IV leben, werden damit künftig weniger erhalten.

Habeck: Ich will 500 Euro zahlen, das ist mehr als 345!

Ich bin über den gleichen Punkt gestolpert: Heute erhält ein Hartz IV-Empfänger mit Wohngeld, Rente, Krankenkasse etwa 880 Euro. Muss nach Ihrem Modell jeder, der sonst kein Einkommen hat, diese Dinge weiter beantragen?

Habeck: Dann hat er nach meinem Modell 1.030 Euro. Zugegeben: Die Bedarfsprüfungen für Wohngeld bleiben. Aber sie werden deutlich weniger Menschen betreffen. Ein Haushalt mit vier Personen erhält ja eine beachtliche Summe mehr.

Heinold: Ich halte 500 Euro als Regelsatz für sehr hoch. Schon unser Vorschlag, den Satz auf 420 Euro anzuheben und das Wohngeld bedarfsgerecht anzupassen, wird ein Kraftakt. Und da von 500 Euro niemand seinen Lebensunterhalt einschließlich Miete bestreiten kann, bleiben alle Menschen, die wirklich auf Hilfe angewiesen sind, auch beim Grundeinkommen weiterhin in der Bedarfsprüfung.

Habeck: Ja, für diejenigen, die den Regelsatz beziehen, wenn sie Wohnbedarf beantragen. Aber es sind ja viel mehr, die im Hartz-System sind. Ich bin überzeugt: Gut die Hälfte aller, die heute Leistungen beziehen, werden dank des Grundeinkommens kein weiteres Geld brauchen.

Frau Heinold, Sie schlagen zwei Formen vor: Grundsicherung und Grundsicherung plus. Was bedeutet das konkret?

Heinold: Wir haben eine Existenzsicherung, eine Existenzsicherung plus und eine Kindergrundsicherung, die eine gute Infrastruktur beinhaltet. Dazu gehört die kostenlose Kita, Mahlzeiten, Ganztagsbetreuung. Damit wollen wir eine echte Chancengleichheit ermöglichen. Bei Erwachsenen gehe ich von 420 Euro aus. Wir wissen aber auch: Es wird immer Menschen geben, die sich trotz Angeboten nicht in die Arbeitswelt integrieren wollen oder können. Für diese Menschen schaffen wir die Existenzsicherung unter 420 Euro.

Habeck: Also 420 Euro nur gegen Leistung. Damit machst du einen riesigen dritten Arbeitsmarkt auf. Was ist, wenn ein Arbeitsloser vorschlägt: Ich möchte die Schule anstreichen? Das führt zu einem subventionierten Stellenabbau.

Heinold: Es gibt in Zukunft einen Facharbeitermangel. Die Grundsicherung will möglichst viele Menschen in Arbeit bringen. Die Gesellschaft muss so organisiert werden, dass es genug Arbeit für alle gibt.

Habeck: Da sind wir uns einig – aber das Bild von Arbeit ändert sich. Es gibt nicht mehr den geraden Weg, sondern berufliche Brüche. Also darf sich das soziale System nicht mehr an den Berufslaufbahnen orientieren, wie sie unter Bismarck üblich waren. Dein Modell verschärft das Problem, weil es Druck macht, in den ersten Arbeitsmarkt zu gehen. Mein System federt den dramatischen Umbruch der Arbeitswelt besser ab.

Heinold: Wenn wir in Bildung investieren, werden wir in zehn Jahren nur noch einen Bruchteil der heutigen Probleme haben.

Habeck: Die Gelder für die Infrastruktur sind in meinem Modell gar nicht angetastet. Aber viele Jugendliche gehen bocklos in die Schule. Man muss nicht nur die Schule verbessern, sondern ihre Motivation steigern.

Heinold: Um es zuzuspitzen: Du sagst dem Jugendlichen: Wenn du 18 bist, hast du Grundeinkommen. Ich sage: Wenn du 18 bist, hast du eine gute Ausbildung.

Habeck: Nein, ich sage: Wenn du 18 bist, lohnt es sich für dich, dich für den Arbeitsmarkt zu entscheiden…

Heinold: Oder auch nicht…

Habeck: Der Jugendliche weiß, dass er nicht durchs Netz fällt. Du hebst ja nicht mal die Transfersätze!

Heinold: Bitte? Der Regelsatz soll um 20 Prozent steigen.

Habeck: Ja, für Leute, die die Schule anstreichen. Infrastruktur allein löst nicht das Problem. Die Leute haben ja heute nicht genug Geld, sich gesund zu ernähren. Dein Modell bedeutet im Grunde eine Verschärfung gegenüber heute. Du sagst: Der Arbeitslose selbst muss Angebote machen. Was ist, wenn er sagt: Ich will Gedichte schreiben? Dann heißt es auf dem Amt: Lyrik nützt der Gesellschaft nichts. Feg’ lieber den Bürgersteig. Was soll das?

Heinold: Gerade für Jugendliche ist es wichtig, eine berufliche Perspektive zu haben. Und es ist keine Perspektive, wenn die Gesellschaft sagt: Hier ist dein Grundeinkommen und ansonsten bist du uns egal, kannst du machen was du willst. Eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn es Ausbildungs- und Arbeitsangebote sowie Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen gibt. Sowohl die individuelle finanzielle Leistung als auch ein gutes Bildungsangebot gehören zu einer Grundsicherung.

Habeck: Auch d’accord. Aber ich werbe außerdem für Steuergerechtigkeit, und das lässt sich vermitteln. Heute können Spitzenverdiener ihre Einkünfte niedrigrechnen, und das führt zu Ungerechtigkeit. Nach meinem Modell zahlen Alleinverdiener mit Bruttoeinkommen ab etwa 3.500 Euro mehr als heute. Es gibt heute 180 Milliarden Euro Einkommenssteuereinnahmen. Ich will sie auf 460 Milliarden erhöhen. Auf jeden Fall kommt unter dem Strich ein Plus heraus.

Heinold: Ich halte eine Erhöhung der Einkommenssteuer um 150 Prozent für komplett unrealistisch!

Kommen wir zur praktischen Umsetzung: Wie schnell ließen sich Ihre Modelle einführen?

Heinold: Die Grundsicherung wäre morgen umsetzbar, weil sie eine Weiterentwicklung des jetzigen Systems ist. Allerdings bräuchten wir erhebliche Steuermittel, um ein deutlich besseres Bildungssystem zu finanzieren.

Habeck: Das Grundeinkommen ist der größere Wurf, aber man könnte morgen starten. Schwierig ist die Frage, wie die Rente integriert wird. Die Krankenversicherung müsste zur Bürgerversicherung umgebaut werden.