Lauschen nach innen

TANZ Die Choreografin Riki von Falken führt mit 61 Jahren ihr Solostück „one more than one“ von 2003 wieder auf und macht damit die Erfahrungen der zweiten Lebenshälfte zur Basis ihrer Arbeit. Das ist selten genug

„one more than one“ bildete 2003 den Abschluss der heute legendären Trilogie Riki von Falkens, in der sie sich mit ihrer persönlichen Erfahrung, in der Konfrontation und dem Umgang mit Leben, Verlassenheit und Tod beschäftigte. In diesem Stück begibt sich Riki von Falken auf die Suche nach der Gestalt von Erinnerung. Die Rekonstruktion, 11 Jahre später, eröffnet der Choreografin und Tänzerin als auch den Betrachtern die Möglichkeit „one more than one“ aus heutiger Sicht, denn der Kontext ist ein anderer, neu zu sehen und neu zu entdecken. In der Auseinandersetzung mit der Musik von Reich, Goebbels und Furrer gelingt es Riki von Falken, sich den abstrakten Raum anzueignen.

■ „one more than one“. 26. 2. bis 28. 2, jeweils 20.30 Uhr, 1. 3., 19 Uhr, Uferstudios, Uferstraße 8/23, Tickets 15,30/ 9,80 €

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es ist ein sehr feines Netz von Wahrnehmungen und Beobachtungen, in das man in den Tanzstücken der Berliner Choreografin Riki von Falken hineingezogen wird. Der Blick, das Gehör, das Gespür für den Raum schärfen sich nach und nach. Es sind oft kleine Bewegungen der Hände, Ellbogen, Schultern, Hüften, der Knien und Füße, die Aufmerksamkeit fordern, die etwas verschieben und teilen, was eben noch eins schien. Und bald teilt man als Zuschauer mit der Tänzerin das Lauschen nach innen, in den eigenen Körper hinein, in den Speicher von Körperwissen und Erinnerungen und erlebt das Bewusstwerden der Sensationen, die seine Berührung mit dem Außen ausmachen.

In den Weddinger Uferstudios zeigt sie vom 26. Februar bis zum 1. März die Wiederaufnahme eines Solos, „one more than one“, das bereits 2003 entstanden ist. Es war das letzte Stück einer Trilogie, mit der sie sehr genau von der Begegnung mit der Endlichkeit des Lebens erzählte, von Momenten der Angst, von Zuständen der Trauer, von der Sprachlosigkeit, die Krankheit und Sterben oft begleitet. Die Stücke „White Linen“, „Wach“ und „one more than one“ hatten etwas Unerbittliches in ihrem Blick auf das, was unseren Körpern und Leben widerfahren kann und auch im Blick auf die Ohnmacht, mit der einen Verfall und Verlust konfrontieren können. Sie waren dabei von einer ungewöhnlichen formalen Strenge und Fokussiertheit.

Riki von Falken war damals schon über vierzig; der lange Atem, den sie als Künstlerin zeigte, und die Konsequenz, mit der sie ihre Themen folgte, waren schon da eine bewundernswerte Besonderheit in einem kulturellen Umfeld, das es für älter werdende Künstler in der Freien Szene schwierig macht, Produktionsmittel zu finden. Und dadurch ist es selten, dass die Perspektiven und Erfahrungen der zweiten Lebenshälfte so zur Basis der tänzerischen Arbeit werden wie bei Riki von Falken.

Wenn sie heute, grade einundsechzig Jahre alt geworden, „one more than one“ wieder aufnimmt, ist das keine einfache Reproduktion des Originals. Dieser Tanz ist nicht einfach da – auch seine Autorin kann frühere Stücke nicht einfach hervorholen und reproduzieren. Sondern sie muss sich eine Rekonstruktion erarbeiten. Da ist, eine Aufzeichnung anzuschauen, nur erstes Werkzeug, das kann nicht einfach nachgemacht werden, da müssen die Bewegungen analysiert werden; sie gehen einmal durch die Sprache hindurch, werden reflektiert, der Zustand, die Stimmung ihrer Entstehung wieder aufgerufen. Es ist eine Arbeit mit der Erinnerung und der veränderten Gegenwart, die sich in der aktuellen Aufführung neu begegnen.

„one more than one“ ist auch ein Dialog mit der Musik, unter anderem von Heiner Goebbels, Beat Furrer und Steve Reich – was von der Bewegung betont wird und was nicht, beruht nicht auf Auszählen von Takten, sondern auf Wahrnehmung, wie lange eine Spannung zu halten – und das stellt sich immer erst in der Aufführung und im Kontakt mit dem Publikum ein.

Am 26. Januar dieses Jahres hat Riki von Falken den ersten Willms Neuhaus Preis bekommen, den die vor etwas über einem Jahr gegründete Willms Neuhaus Stiftung Zufall und Gestaltung verliehen hat. Für die Preisverleihung wurde ich gefragt, ob ich die Laudatio halte, und das habe ich sehr gern übernommen. Dass ich seit 1984 überhaupt für die taz über Tanz und Theater schreibe, hat auch mit der Tänzerin, Tanzlehrerin und Choreografin Riki von Falken zu tun, die ich als Tänzerin in frühen Stücken der Tanzfabrik sah, bevor sie eigene Solos entwickelte und bei der ich lange Jahre an der Tanzfabrik und am Dock 11 Unterricht genommen habe.

Für älter werdende Künstler in der Freien Szene ist es schwierig, gefördert zu werden

Wie viele Künstler in der Freien Szene muss auch Riki von Falken für jedes neue Stück, das sie entwickeln will, Förderung beantragen; nicht immer wird die bewilligt, oft muss die Realisierung deshalb noch mal ein Jahr weitergeschoben werden. Das ist keine Struktur der Ermutigung, erst recht nicht über Jahrzehnte. Dennoch hat die Arbeit der Choreografin in den letzten sechs, sieben Jahren noch mal einen Schub erfahren, und sie wurde mit „Geometrie of Separation“ und „Echo“ ins Ausland nach Neuseeland, Kamerun, Malaysia und Brasilien eingeladen und gab dort auch Workshops.

„Geometrie of Separation“ ist eine sehr persönliche und mutige Arbeit, die auch von Momenten der Mutlosigkeit, des Sich-ausgeschlossen-Fühlens und von Verletzbarkeit erzählt, die sich sowohl mit der Erfahrung des Älterwerdens als Frau verknüpfen lassen als auch mit der Situation als Künstlerin und Einzelkämpferin. „Echo“ dagegen ist ein Stück von einer ganz anderen Anschmiegsamkeit an das Vorgefundene und gesättigt von vielen Wahrnehmungen während ihrer Arbeitsaufenthalte in Malaysia.

Dass sie jetzt ein früheres Solo wieder tanzt, ist ein Reflex auf dieses internationale Interesse und eine sehr seltene Gelegenheit, einem Ausschnitt aus ihrem Werk wieder zu begegnen.