: Alles andere kannst du quetschen
AUSNAHME Ein hartes Ei in der eckigen Moderne. In der Galerie Croy Nielsen zeigt Judith Hopf ihren Kurzfilm „Some End of Things“
Als Alice im Wunderland zum ersten Mal auf Humpty Dumpty trifft, sagt sie zu ihm: Du siehst ja wirklich aus wie ein riesiges Ei. Er erwidert, dass es nicht sehr nett sei, jemandem zu sagen, er sehe aus wie ein riesiges Ei. In ihrem neuen, auf Super8 gedrehten Kurzfilm „Some End of Things: The Conception of Youth“ führt die Berliner Künstlerin Judith Hopf einen jungen Mann im Ei-Kostüm als Hauptdarsteller ein. Nur Arme, Beine und Gesicht gucken etwas hilflos aus dem festen Objekt heraus. Im Gegensatz zum eigenwilligen, mondän gekleideten Humpty Dumpty steckt dieser Pantomime modernistisch schlicht im nackten Ei.
In dieser Verkleidung läuft der Mann stoisch Verbindungsbrücken eines modernen Gebäudes aus Beton, Stahl und Glas entlang. Im Gegenschnitt ist immer wieder eine wilde Wiese zu sehen, auf der ein alter Hahn vor sich hin pickt. Auch in früheren Videoarbeiten von Hopf traten Tiere auf, ein rechnendes Pferd oder weise Krähen. Hopf beobachtet sehr genau gesellschaftliche Konventionen und die sie kontrollierenden Institutionen. Sie findet immer neue, witzige Metaphern, um für die Ausnahme und gegen die Vereinheitlichung zu argumentieren.
Eine Schiebetür aus Glas ist offen. Doch die Figur im Ei-Gewand passt nicht durch. „Alles andere kannst du ja quetschen“, sagt Hopf. Aber die moderne Architektur bleibt starr, und die Ei-Metapher ebenso. Nicht wie einst bei Jacques Tati die Unvereinbarkeit zwischen dem altmodischen Hut, Fliege und Schirm tragenden Monsieur und der modernen Welt ist es, die hier verhandelt wird: Das Ei kennt sich aus, die Moderne ist kein Irrgarten mehr. Doch den ironischen Umgang mit dem Uniformen der Moderne teilt Hopf mit Tati.
Wie im Avantgardefilm fügen sich Ei und Architektur zu einem grobkörnigen Bild, wenn sich das Licht im Innenhof bricht und Schattenstreifen über die Eierschale ziehen. Also ästhetische Affirmation einerseits und Disharmonie wegen Ablehnung der Standards andererseits? „Irgendwas reibt sich in den Konzeptionen“, sagt Hopf. Diese widrigen Konzeptionen könnten das Moderne und das Natürliche sein, das Abgeschlossene und das Werdende. „Das Ei ist wie eine Idee, die zu groß geworden ist.“ Die Kommunikation fehlt, der Anpassungswille auch. Konkreter will es Hopf nicht benennen.
In der Verwendung von Super8-Film sieht die Künstlerin keine Sentimentalität, sondern die Entscheidung, durch die zeitliche Verzögerung zwischen Aufnahme, Entwicklung und Schnitt weniger Kontrolle über das Bild zu haben. Neben dem dreiminütigen Film hat Hopf in der Galerie Croy Nielsen eine Glasscheibe eingebaut, auf die ein Türgriff aufgezeichnet ist. Gehalten wird die Scheibe von Holzlatten, rechts und links davon bleibt der Durchgang offen. Intuitiv ist der Wunsch da, durch die Mitte zu gehen, doch die gezeichnete Form des Türgriffs ist leicht erkennbar. Mit René Magritte gesprochen würde es heißen, „Ceci n’est pas une porte“, dies ist keine Tür. In der erschöpften Leistungsgesellschaft ist schwer greifbar geworden, wo die gläserne Decke oder Tür steht.
Es sind nicht nur die hierarchischen Ebenen, sondern die sozialen Unterschiede überhaupt, die nicht mehr so eindeutig zu ziehen sind wie früher. Als Bezugspunkt für ihre Arbeit nennt Hopf Gilles Deleuzes „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“. In ihnen werde nie jemand mit irgendetwas fertig, meint Deleuze. Der Titel ist programmatisch zu verstehen: Es muss auch mal ein Ende geben. VERA TOLLMANN
■ Bis 3. 12. Galerie Croy Nielsen, Weydingerstraße 10, Mi.–Sa., 12–18 Uhr