: Es ist etwas zerbrochen
ASYL II Was wurde aus der syrischen Flüchtlingsfamilie, die abgeschoben werden sollte und über die die taz Weihnachten berichtete? Ein Follow-up
„Yes, of course, we are very happy“, sagt Saleh Maleh*. Aber so wie er es sagt, klingt es irgendwie nicht sehr happy, eher erschöpft und trotzdem angespannt. Kein Wunder: Nach insgesamt vier Jahren auf der Flucht vor Bomben, Bürgerkrieg und Folter in Syrien, nach Stationen in Thailand und Ägypten, nach einer traumatischen Schiffsfahrt übers Mittelmeer mit einem Kleinkind, nach Schlägen in Italien, Behördenwillkür in Schweden und nach einem Bürokratie-Hindernislauf in Deutschland haben die Malehs vor einigen Tagen den ersehnten Brief vom Bundesamt erhalten.
In dem Brief heißt es im schönsten Beamtendeutsch, dass den Malehs nun doch „die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft“ bescheinigt wird. Sprich, dass sie endlich bleiben können, dass Deutschland sie als legale Flüchtlinge anerkennt, auch wenn sie auf illegalen Wegen hierhergekommen sind.
Seit dem Frühjahr 2014 sind Saleh Maleh und seine Frau Alaa, zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern, in Deutschland. Ein knappes Jahr haben sie jetzt mit Warten und zermürbenden Ämtergängen verbracht. Dabei hätten sie nach all den Strapazen der mehrjährigen Flucht etwas anderes gebraucht: Ruhe, um das Erlebte zu verarbeiten, Sicherheit, um anzukommen. Hilfe, um sich hier ein neues Leben aufzubauen.
Noch heute kann Alaa Maleh kaum von den Bombennächten in Damaskus und von der Reise übers Mittelmeer erzählen. Immer wieder bricht sie in Tränen aus, wenn sie schildert, wie viel Todesangst sie hatten. Und vor allem, wie viel Angst sie um ihre kleine Tochter hatte. „Irgendwas in mir ist zerbrochen auf diesem Schiff“, sagt sie.
Sie sollten nach Italien
Dennoch mussten die Malehs in Deutschland gleich weiterkämpfen: Im Oktober 2014 erhielten sie einen Abschiebungsbescheid. Sie sollten nach Italien zurück, in ein Land, in dem sie keinen Menschen kennen, das ihnen keine Perspektive anbieten kann, einfach nur dahin, wo ihnen als Erstes die Fingerabdrücke nach ihrer Einreise nach Europa abgenommen worden sind. So, wie es das Dublin-III-Abkommen der EU vorsieht.
Seitdem lebten die Malehs in Angst vor der angekündigten Abschiebung nach Italien, vor dem lauten Klopfen der Polizisten an ihrer Zimmertür im Wohnheim, die sie mitnehmen zum Flughafen und sie ins nächste Flugzeug nach Italien setzen. Der einzige Halt in dieser Zeit waren ihre deutschen Mentoren, Christian und Maria Schmidt*, die sich über den Berliner Verein Xenion um sie kümmerten und die sie nicht nur bei der Klage gegen die Abschiebung unterstützten.
Jetzt kann die Familie Maleh also erst einmal aufatmen. Für die nächsten drei Jahre bekommen sie eine Aufenthaltsgestattung für Deutschland, wahrscheinlich sogar eine Arbeitserlaubnis. Dann kann Saleh Maleh vielleicht bald wieder als Lehrer arbeiten, die Malehs könnten dann ein fast normales Leben in Deutschland führen, Geld verdienen, eine Wohnung mieten.
Doch was in drei Jahren sein wird, weiß niemand. Vielleicht ist dann ja der Bürgerkrieg in Syrien zu Ende, das Land bereit für einen Neuanfang.
Aber jetzt zählen erst einmal die nächsten drei Jahre. Bald kommt ihre Tochter in die Schule. Sie soll ein normales Leben haben, hier Wurzeln schlagen. Die Malehs wollen einen Ort finden, an dem sie bleiben können.
Auf seiner Facebook-Seite hat Saleh Maleh einen Fernsehbericht über die katastrophale Situation von syrischen Flüchtlingscamps im Libanon gepostet. Man sieht riesige Zeltstädte, die im Schlamm versinken, syrische Kinder in bunten Plastiksandalen. Schneeflocken tanzen über den Zelten. Die Malehs sind froh, es nach Deutschland geschafft zu haben. Trotz allem. SANDRA LÖHR
*Namen geändert