Kunstrundgang : Andrea Edlinger schaut sich in den Galerien von Berlin um
Mit minimalen Mitteln zielten Künstler wie Donald Judd oder Richard Serra in den 1960ern auf maximale Wirkung; das Material ihrer Arbeiten (edle Hölzer, wertvolle Metalle) sollte für sich sprechen. Doch das war nicht bescheiden, sondern schon vom Autonomie-Anspruch her prätenziös. Fast vergessen war die deutsche Vertreterin der Minimal Art Charlotte Posenenske: Erst auf der diesjährigen Documenta wurde sie als Wiederentdeckung gefeiert; jetzt zeigt sie die Galerie Mehdi Chouakri. Im Gegensatz zu ihren US-Kollegen verwendete die 1985 verstorbene Künstlerin simple Materialien und zielte auf eine soziale Dimension. Ihre Vierkantrohre bestehen aus Stahlblech oder Wellpappe, der Drehflügel Serie E aus Sperrholz. Die Werke sehen aus wie Abzugrohre, erinnern durch das Verfahren, Verborgenes sichtbar zu machen, an das Centre Georges Pompidou in Paris. Oft kann man sie bewegen oder begehen: Posenenske reißt Hierarchien zwischen Werk und Betrachter ein. Die Kunst, so ihre Überzeugung, solle einen politisch-sozialen Kontext eröffnen. 1968 gab Posenenske die künstlerische Arbeit auf und engagierte sich in der Gewerkschaft. Die 35-jährige Chloe Piene zeigt Kohlezeichnungen und Videoarbeiten in der Galerie Barbara Thumm. Schonungslos bringt die New Yorkerin Körper auf Papier: Mit wenigen Strichen skizziert sie Menschenfragmente, halb aus Knochen, halb aus Fleisch, in ausladenden Stellungen zwischen Sex und Tod. Piene nennt als Inspirationsquellen etwa Dürers Selbstporträts – und die Dunkelheit. Davon zeugt ihre Videoarbeit „Stummfilm“: Noch bevor etwas zu sehen ist, ertönt darin ein langgezogenes Röhren. Erst dann huscht eine Gestalt durch den dunklen Wald, die sich als Frau mit akkurat bemalten kirschroten Lippen entpuppt: Halb Mensch, halb Tier scheint sie wie eine Flüchtige.
Charlotte Posenenske. Bis 15 12, Di–Sa 11–18, Galerie Mehdi Chouakri, Invalidenstr. 117 Chloe Piene. Bis 22. 12. Di–Fr, 11–18, Sa 13–18, Galerie Barbara Thumm, Dircksenstr. 41