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Archiv-Artikel

„Die USA sind es, die isoliert sind“

NEUE ZEITEN „Das zweite Treffen wird produktiver“, sagt Wayne Smith, der die Vetretung der USA in Havanna leitete. Die Meinungsunterschiede werden jedoch ewig bestehen

Wayne Smith

■ 82 Jahre, leitete von 1979 bis 1982 die US-Interessenvertretung in Havanna. Dort wurde er Anfang der 1960er Jahre Zeuge, wie die Botschaft zur Interessenvertretung runtergestuft wurde. Smith ist ein Kritiker der US-Embargopolitik gegen Kuba, arbeitete als Wissenschaftler an der John Hopkins University und heute am Center for International Policy.

INTERVIEW KNUT HENKEL

taz: Mr Smith, heute beginnt die zweite Runde der Gespräche zwischen den USA und Kuba über die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und die Normalisierung der bilateralen Kontakte. Haben Sie Hoffnung auf einen Durchbruch?

Wayne Smith: Die erste Gesprächsrunde war schwierig, aber das war zu erwarten. Bevor ich 1982 den diplomatischen Dienst quittierte, war ich Gast auf einer Cocktailparty in Havanna, und da fragte mich Raúl Castro [heute amtierender Staatschef]: Wayne, warum ist es so schwer für uns, einen Dialog zu führen? Ich antwortete: Ihr habt euer System, wir unseres. Wir wollen unser System nicht ändern, ihr eures nicht. Daran hat sich nichts geändert, aber um Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, muss man reden, und damit haben sich beide Seiten lange Zeit gelassen. Das hat sich nun geändert, und ich hoffe, dass das zweite Treffen produktiver ist.

Die Menschenrechte, die Rückgabe des Militärstützpunkts Guantánamo, das Handelsembargo und die Frage der Flüchtlinge sind die wichtigsten Punkte. Gibt es eine Chance auf Annäherung?

Die USA haben sich in der Guantánamo-Frage sehr abweisend verhalten. Raúl Castro hat sicherlich recht, dass es keine normalen Beziehungen geben wird, ohne diese Frage zu lösen, das Gleiche gilt für das Handelsembargo. Das kann jedoch nur durch den Kongress aufgehoben werden und da dominieren die Republikaner. Aus meiner Perspektive sind Guantánamo und das Handelsembargo Punkte am Ende der Verhandlungsagenda – nicht am Anfang.

Bleibt die Menschenrechtsfrage und die Frage der Regelungen für die Migration von Kuba in die USA …

Richtig. Aus unserer Sicht muss die Frage der Menschenrechte und der freien Meinungsäußerung diskutiert werden – aus kubanischer Sicht ist das eine Einmischung in innere Angelegenheiten. Das sind schwierige Voraussetzungen für eine diplomatische Lösung. Anders liegt der Fall bei den Migrationsgesprächen. Da genießen die Kubaner einen Sonderstatus. Der „Cuban Adjustment Act“ garantiert allen Kubanern, die die USA trockenen Fußes erreichen, ein Aufenthaltsrecht und Starthilfen. Mit einem Ende des Gesetzes würden die Kubaner ihren Sonderstatus verlieren und den Immigranten als Mittel- und Südamerika gleichgestellt werden.

Ein Punkt auf der Agenda der Kubaner sind TV und Radio Martí, die US-Propagandasender, die seit Jahren nach Kuba senden.

Da wird nur das Geld der Steuerzahler verschwendet, denn die Kubaner hören und sehen diese Sender nicht. Sie sollten ersetzt werden durch Formate, die das Ziel verfolgen, wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen. Diese Sender haben nicht zur Entspannung der kubanisch-amerikanischen Beziehungen beigetragen.

Die Vereinigten Staaten haben signalisiert, dass Importe aus Kuba denkbar sind. Derzeit allerdings nur von privaten Anbietern. Gibt es die überhaupt?

Ich kenne keine, aber zukünftig könnte das interessant werden. Vielleicht soll die Maßnahme dem privaten Sektor Perspektiven aufzeigen.

Senatoren aus dem demokratischen und dem republikanischen Lager wollen gemeinsam die Aufhebung des Handelsembargos vorantreiben. Nancy Pelosi, die Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Kongress, hat diese Initiative begrüßt und eine Aufhebung des Embargos als realistisch bezeichnet. Teilen Sie diese Einschätzung?

Im Kongress gibt es nicht genug Stimmen, um das Embargo aufzuheben. Aber die öffentliche Meinung in den USA wandelt sich. Die große Mehrheit der US-Bürger sind der Meinung, dass die Sanktionen überholt sind. Das zeigen Umfragen, selbst in Miami. Auch wenn es dort eine kleine Minderheit gibt, die nicht von der Sanktionspolitik ablassen will. Aus meiner Perspektive sind die Sanktionen ein Relikt des Kalten Kriegs, und man kann derartige Maßnahmen nicht ewig in Kraft belassen, wenn sie den damit verbundenen Zielen zuwiderlaufen.

Sie haben 1962 zu Beginn ihrer diplomatischen Karriere die Schließung der US-Botschaft in Havanna miterlebt. 53 Jahre später könnten Sie die Wiedereröffnung miterleben. Kann das schnell vonstatten gehen?

Ja, denn die Interessenvertretungen haben de facto die Arbeit weitergeführt. Die Botschaftsangestellten werden in Havanna und in Washington einen größeren Bewegungsradius haben, aber die Unterschiede in der täglichen Arbeit einer Botschaft und einer Interessenvertretung sind nicht so gravierend.

Die Rede von Barack Obama vom 17. Dezember kam überraschend – was ist das zentrale politische Motiv dahinter?

Die Isolation der USA in der Region. Nicht Kuba ist in der Region isoliert, sondern die isolierende Macht, die USA, sind es. Alle anderen Staaten in der Region haben diplomatische Beziehungen mit Kuba und die USA stehen außen vor. Es ist offensichtlich, dass die Politik der Isolierung, der Feindseligkeit und des Embargos nichts gebracht hat.

Sie waren Ende Dezember in Havanna – wie haben Sie die ökonomische Situation wahrgenommen?

Oh, die Wirtschaft ist weiterhin in einer schwierigen Situation. Es ist leichter als früher, ein eigenes Geschäft aufzumachen, und ich denke, dass die von Barack Obama anvisierten Lockerungen des Embargos einen positiven Effekt haben werden.

Wie schätzen Sie die ökonomischen Reformen der Regierung von Raúl Castro ein. Sehen Sie positive Effekte?

Bisher sind strukturelle Änderungen in der Wirtschaftspolitik nicht zu sehen. Es ist nach wie vor eine zentralisierte, kontrollierte Wirtschaft. Aber im ökonomischen Bereich ist Raúl Castro deutlich pragmatischer als sein Bruder.

Aus historischer Perspektive: Was ist der zentrale Erfolg von Fidel Castro?

55 Jahre sind ein schrecklich lange Zeit des politischen Überlebens und das ist ein Erfolg Fidel Castros. Als ich Anfang der 1960er Jahre meine diplomatische Karriere in der US-Botschaft in Havanna begann, prognostizierten alle, dass sich Castro nicht lange würde halten können. 55 Jahre später ist er immer noch da, wenn auch krank. Das System, das er aufgebaut hat, wird überleben. Das glaube ich zumindest.

„Das System, das Fidel Castro auf der Insel implementiert hat, ist kein totaler Fehlschlag“

Aber tragen die zentralen Errungenschaften der Revolution denn noch …?

Das Bildungssystem schon, das medizinische System weniger und das Wirtschaftssystem ist das große Problem. Man sollte jedoch nicht vergessen, das niemand hungert. Das System, das Fidel Castro auf der Insel implementiert hat, ist kein totaler Fehlschlag.

Kubaner sind gut ausgebildet, sind oftmals erfolgreich außerhalb Kubas – was sind die Gründe, weshalb die Wirtschaft der Insel seit Jahrzehnten von Auslandszuflüssen abhängt?

Das kubanische System ist nicht konzipiert, um produktiv zu sein. Das könnte sich mit den von Raúl Castro initiierten Reformen ändern, aber sicher ist das nicht. Er hat letztlich eine Revision des Modells vorgenommen, aber wie weit er bereit ist zu gehen, ist nicht absehbar. Sicher ist, dass es so nicht weitergeht, weil die Binnenökonomie nicht funktioniert, die Abhängigkeit groß ist. Ich denke, dass es weitere Reformen geben wird. Man kann das System verbessern und dann wäre es auch überlebensfähig.

Mit den neuen Maßnahmen der US-Administration haben mehr US-Bürger die Chance, sich selbst ein Bild zu machen von der roten Insel. Ein Beitrag zur Verständigung?

Ja, ganz bestimmt, und ein Beitrag, um die politische Debatte in den USA auf ein realistischeres Fundament zu stellen.

Kuba steht immer noch auf der Liste der Terrorstaaten des U.S. State Department. Ist es nicht Zeit, das zu ändern?

Unbedingt, und das wäre ein Schritt der Annäherung, den man bei der zweiten Verhandlungsrunde beider Staaten durchaus verkünden könnte.