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Archiv-Artikel

„Die Identität lässt sich nicht eindeutig klären“

Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler moderiert eine Diskussion über die Frage „Wer war Shakespeare?“

Sigrid Löffler

■ 69, ist Literaturkritikerin. Sie war Mitglied des Literarischen Quartetts und ist Mitbegründerin der Zeitschrift Literaturen.

Am heutigen Mittwoch streiten Alan Posener und Kurt Kreiler um die Antwort auf die Frage, wer Shakespeare war. Beide haben zu Shakespeare veröffentlicht. Alan Posener, Journalist unter anderem bei Welt und Welt am Sonntag, hatte im letzten Jahr in Hamburg für Wirbel gesorgt, als er seine Kritik zur Hamlet-Inszenierung am Thalia Theater mit islamkritischen Äußerungen verband. Kurt Kreiler, Autor und Dramaturg, ist Verfechter der These, Edward de Vere, Earl of Oxford, sei der wahre Urheber Shakespeares Werk. Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler wird die Diskussion moderieren.

taz: Frau Löffler, wer ist Shakespeare heute, und welche Bedeutung hat sein Werk für Sie?

Sigrid Löffler: Shakespeare ist der größte Dramatiker, den wir kennen, ein literarischer Kontinent, nicht auszulesen.

Warum fasziniert die Identitätsklärung Shakespeares heute noch?

Die dokumentierte Quellenlage zu Shakespeares Leben ist lückenhaft, außerdem weckt die Diskrepanz zwischen der Genialität des Werks und der Bescheidenheit der Herkunft des Autors seit langem Zweifel an seiner Urheberschaft. Daraus ist ein kleiner Industriezweig entstanden, der die Werke Shakespeares anderen Autoren zuschreibt – von Francis Bacon über Queen Elizabeth und Christopher Marlowe bis zum Earl of Oxford. Ein pseudo-akademischer Zeitvertreib.

Und was würde sich ändern, wenn die Identität eindeutig geklärt wäre?

Die Identität lässt sich eben nicht eindeutig klären, das ist ja der Witz daran.

Einige bezweifeln, dass ein einfacher Mann aus Stratford der wahre William Shakespeare war. Was meinen Sie?

Der Punkt ist, dass der bildungsbürgerliche romantische Mythos vom urwüchsigen Originalgenie nicht länger haltbar ist. Die Frage ist daher legitim: Wie passt ein geniales Werk, das einen in vielerlei Kenntnissen bewanderten, vielsprachigen, weltläufigen und höfisch verfeinerten Renaissance-Geist verrät, zu einem Autor mit ungewisser Schulbildung? Man muss kein Ketzer, Spinner oder heterodoxer Dissident sein, um diese Frage zu stellen. Die orthodoxe Shakespearologie stellt sie sich auch.

Kleine Zusatzfrage: Was ist Ihr Lieblingswerk von Shakespeare?

König Heinrich der Vierte, Teil eins und Teil zwei.INTERVIEW: KAREN KÖHLER

„Wer war Shakespeare?“, Freie Akademie der Künste Hamburg, Klosterwall 23, 19.30 Uhr