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Archiv-Artikel

Diakonie arbeitet Heimskandal auf

DOKUMENTATION Eine wissenschaftliche Untersuchung belegt systematische Misshandlungen in Niedersachsens evangelischen Kinderheimen vom Kriegsende bis in die späten Siebzigerjahre

Prügelorgien, drakonische Strafen und sexueller Missbrauch

Wie Kinder zwischen 1945 und 1978 in niedersächsischen diakonischen Heimen gelitten haben, schildert eine Dokumentation der hannoverschen Landeskirche und ihrer Diakonie. In dem Buch „Heimwelten“ beschreiben die Politikwissenschaftlerin Ulrike Winkler und der Historiker Hans-Walter Schmuhl einen Alltag, der für viele Kinder und Jugendliche von Ängsten, psychischer und physischer Gewalt geprägt war. „Vieles wäre strafrechtlich verfolgt worden, wäre es damals bekannt gewesen“, sagte Schmuhl bei der Vorstellung des Buches in Hannover.

Der evangelische Landesbischof Ralf Meister sagte, er habe das Buch mit unglaublicher Bedrückung und gleichzeitiger Faszination gelesen. „Es ist ein furchtbares Stück deutscher Nachkriegsgeschichte.“

Die Autoren haben rund 14 Erziehungsheime untersucht. Sie befragten zudem ehemalige Mitarbeiter und Heimkinder. Die Kinder seien durch Einheitshaarschnitte und gleiche Kleidung ihrer Individualität beraubt worden, heißt es in der Forschungsarbeit. Gewalt von den Erziehenden aber auch untereinander sei an der Tagesordnung gewesen.

Von „Prügelorgien“ mit Kabelenden ist die Rede oder davon, dass der Kopf zur Strafe in die Toilette gesteckt wurde. Auch über Fälle von sexuellem Missbrauch wird berichtet. „Die Kinder lebten in einer ständigen Angst, wann die Gewalt wieder losbrechen wird“, sagte Schmuhl. Das habe ihre Kindheit überschattet.

Auch die der Nachkriegszeit geschuldeten, finanziellen und personellen Nöte der Einrichtungen seien Gegenstand der Untersuchung gewesen. „Es musste an allem gespart werden“, sagte Winkler. Es habe kaum qualifiziertes Personal gegeben, ergänzte Schmuhl: „Die Mitarbeiter standen in einer Situation hoffnungsloser Überlastung.“ Später habe es schrittweise Modernisierungen und auch einzelne positive Erfahrungen in den Heimen gegeben. (epd)

Heimwelten, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld, 24 Euro