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: „Wandlungen – Richard Wilhelm und das I-Ging“

Wer sich mit westlicher Literatur über China befasst, der ist in der Regel schockiert. Seit im 19. Jahrhundert die außenpolitischen Interessen des Westens in China aggressiver wurden, muss das Bild Chinas in diesem Land – gelinde gesagt – als ambivalent bezeichnet werden. Allzu oft wurde China als Schauplatz platter, zeitkritischer Satiren benutzt, das Land wurde als „balsamierte Mumie“ beschrieben. Besonders um 1900, als in China der Boxeraufstand losbrach, hieß es bei vielen Denkern, China sei ein konformes Land gesichtsloser Massen, es „schwimme in Schmutz“, es sei ein Land des „Schuttes und der Asche“.

Allein dass sich der deutsche Übersetzer und Sinologe Richard Wilhelm diesem Zeitgeist widersetzte, macht ihn zu einer Figur, die zu genauer Beobachtung einlädt. So muss es auch seine Enkelin, die Filmemacherin Bettina Wilhelm, empfunden haben, als sie sich nach China aufmachte, um die Spuren ihres Großvaters zu verfolgen, der schon 1930 starb, viele Jahre also vor ihrer Geburt. Denn während man den Stationen seines Lebens – vor allem nach Schanghai und in die damalige deutsche Kolonialstadt Qingdao – folgt, lauscht man gebannt einer sonoren Stimme aus dem Off, die aus den Tagebüchern Richard Wilhelms liest. Viel ist da von „liebevoller Versenkung“, „vorurteilsloser Annäherung“ und „Kraft aus Mitgefühl“ die Rede.

Richard Wilhelm, so erfährt man, wurde 1873 in Stuttgart geboren, studierte Theologie und kam 1899 im Dienste der Ostasienmission nach China. Dort arbeitete er als Pfarrer und als Pädagoge. Anstatt möglichst viele Chinesen zu taufen, war es bis zum Ende seines Lebens stolz, keinen einzigen Chinesen missioniert zu haben. Stattdessen gründete er Schulen, half während des Boxeraufstandes beim Roten Kreuz und lernte so gut Chinesisch, dass er die wichtigsten Werke der chinesischen Kultur – Schriften von Laozi, Konfuzius, das Buch der Wandlungen – ins Deutsche übertrug.

Bettina Wilhelms Film funktioniert manchmal wie eine allzu impressionistische Bebilderung der Tagebuchtexte, die man lieber im Original lesen würde, manchmal auch zu konventionell im Abhaken eines Lebenslaufes inklusive historischer Fotos und professoraler Expertise zu Wilhelms Übersetzungen. Dennoch geht man Ende einigermaßen nachdenklich aus dem Film. Richard Wilhelm war ein Pionier interkultureller Verständigung. Wer weiß, wie es ums Chinabild der Deutschen heute stünde, hätte er sich mehr Gehör verschafft. SUSANNE MESSMER

■ „Wandlungen – Richard Wilhelm und das I-Ging“. Regie: Bettina Wilhelm. Dokumentarfilm. Schweiz 2011, 87 Minuten