Launische Stimme und Gesichtstatoos

POP Gerade haben Franziska Grohmann und die Pentatones ein neues Album aufgenommen. Ein Treffen in Kreuzberg

Björk? Kate Bush? „Die Vergleiche nerven“, sagt Franziska Grohmann alias de France

VON THOMAS WINKLER

Am vergangenen Wochenende ist Franziska Grohmann zu einer kleineren viralen Sensation geworden. In einem dreieinhalbminütigen Filmchen ist die Sängerin zu sehen, wie sie von einem furchteinflößenden, bärtigen Mann einen kreisrunden, sehr schwarzen Fleck mitten ins Gesicht tätowiert bekommt. Man sieht das Blut, man hört sie jammern. Dann sieht man sie in den Spiegel blicken, den dicken, schwarzen Kreis mitten im Gesicht und über die Inuit reden. Die, erzählt sie, lassen sich Kreise tätowieren, die als Pforten für die Seele dienten. In den Kommentarspalten geht es hoch her. Die einen schimpfen „kaputt, behindert, borderline-fotze“, andere fragen sich, „was Menschen bereit zu tun sind für Aufmerksamkeit“. Die Schlausten geben Entwarnung: „Ist doch nur ein Fake.“

Ein paar Tage zuvor. Ein Café am Rande des Kreuzbergparks. Franziska Grohmann trägt die langen Haare zum strengen Zopf gebunden und einen goldenen, verzierten, irgendwie indisch wirkenden Ring durch die Nasenscheidewand. Den Kreis trägt sie nicht im Gesicht. Der ist jetzt nur noch zu sehen auf dem Cover des neuen Albums der Pentatones, bei denen Grohmann unter dem Namen Delhia de France singt. Das Internet-Filmchen ist eine Werbeaktion für dieses Album, das „Ouroboros“ heißt. Das Filmchen illustriert aber auch, dass für die Pentatones Pop mehr ist als nur Musikmachen. Bei ihrem Pop geht es auch immer um dessen Inszenierung.

Es gibt in Deutschland zu wenig Glamour in der Popmusik, sagt de France. Sie sagt nicht, dass Popmusik auch ein wenig Spiritualität nötig hätte. Könnte sie aber sagen. Nicht nur, weil sie Yoga macht und meditiert, Menschen in Atem-Typen einteilt, konsequent ihr exaktes Alter verschweigt („Schreib einfach 25 plus“) und schon mal von ihrer „Verbundenheit mit dem Universum“ erzählt. Sondern vor allem, weil die Musik auf „Ouroboros“ klingt wie Popmusik, die eine zweite, eine durchaus metaphysische Ebene besitzt.

Denn die diesmal von dem mittlerweile in Los Angeles lebenden Robert „Robot“ Koch (Jahcoozi, Casper, Marteria) produzierten Stücke wissen zwar einerseits sehr genau, wie Popmusik klingen sollte, mit sanft dahintuckernden Beats, geschickt platzierten elektronischen Effekten, mit Einflüssen aus Weltmusik und aus dem Club, unüberhörbaren Reminiszenzen an den Trip-Hop der Neunzigerjahre und das sanfte Knistern von alten Jazz-Platten, mit tanzbaren Rhythmen und melancholischen Melodien, die einem nicht mehr aus dem Kopf wollen. Andererseits scheint in dieser Musik aber auch immer etwas mehr versteckt. Das liegt an den Texten, in denen schon mal griechische oder ägyptische Mythologie zur Sprache kommt, oder eben das Motiv von der Schlange, die sich selbst verzehrt und dem Album seinen Titel gegeben hat. „Ich will das nicht auf eine Esoterikschiene bringen“, sagt de France, „aber unsere Songs haben eine mystische Energie.“

Diese Energie bekommen die Songs spätestens dann, wenn de France sie singt. Ihre Stimme nimmt selten den direkten Weg in einer Melodie und wird deshalb gern mit Björk verglichen. Eine Referenz, die de France zwar ehrt, die sie aber nicht nachvollziehen kann. „Die Vergleiche nerven“, sagt sie. Auch wenn man Kate Bush ins Spiel bringt, lächelt sie freundlich und sagt, dass sie die erst vor gut einem Jahr entdeckt hat. Ihre eigene Stimme bezeichnet sie als „eine launische, keine konkrete Stimme“, und das trifft es ganz gut. So unterschiedlich diese Stimmen im einzelnen auch sein mögen, eins haben sie gemeinsam: Sie sind alle sehr eigen, sehr individuell und, sagt de France, „können auch ziemlich gut nerven“.

Diese, nennen wir sie also: einprägsame Stimme steht im Zentrum der Songs, die in seltenen, aber dafür umso intensiveren Jam-Sessions entstehen, in denen alle vier Bandmitglieder mit Synthesizern und Samplern hantieren, aber auch klassische Instrumente verwenden. Anders geht es nicht, seit die Band, die sich 2007 in Thüringen im Dunstkreis des Jenaer Labels Freude am Tanzen zusammen fand, verstreut lebt: Grohmann und Albrecht Ziepert in Berlin, Hannes Waldschütz in Leipzig und Julian Hetzel in Amsterdam, wo er als Regisseur für Performance und Theater arbeitet.

Kennengelernt hat sich das Quartett in Leipzig und Weimar, wo Grohmann und Hetzel an der Bauhaus-Universität studiert haben. Dort haben die beiden das Bauhaus-typische fächerübergreifende Denken aufgesogen und begonnen ein Netzwerk aus Grafikern, Videokünstlern, Modemachern, Choreografen und Musikern aufzubauen. Auch die anderen beiden blicken regelmäßig über Genregrenzen hinaus: Waldschütz hat Kunst studiert, Ziepert arbeitet an Theatern. Alle betreiben neben den Pentatones weitere musikalische Projekte, so hat Grohmann als Delhia de France unlängst mehrere EPs mit dunklen, versponnenen Songs veröffentlicht und tritt mit der Harfenistin Julia Pritz auf.

Die vielen verschiedenen Einflüsse führen die Pentatones zusammen in ein, nennen wir es ruhig so: Gesamtkunstwerk, das sie schon zur Ars Electronica nach Linz geführt hat. „Wir haben diesen Kunstschul-Background nun mal“, sagt de France, „also nutzen wir ihn. Unsere visuelle Darstellung ist uns wichtig.“ Die Videoclips der Band sind rätselhafte Kurzfilme, ihre Auftritte Kompositionen aus Tanz, Kostümen und Licht. Das größte Aufsehen erregte de France bislang mit einem Kleid aus menschlichen Haaren. Es bleibt abzuwarten, aber die Gesichtstätowierung – ob echt oder nicht echt – könnte noch größere Wellen schlagen.

■ Pentatones: „Ouroboros“ (Lebensfreude/Soulfood). Record Release Konzert: 2. 3., 20 Uhr, Kantine am Berghain