piwik no script img

Archiv-Artikel

Dann schnitze ich es halt lieber selbst

AUSSTELLUNG „Cut, Stitch & Screen“ zeigt Linolschnitte, Näharbeiten und Zeichnungen der drei popkulturell geschulten und befreundeten Künstler Nagel, Meike Wolf und Antje Schröder in der RMCM Gallery

Die ausgestellten Werke funktionieren immer auch über den Wiedererkennungswert. Sie zitieren Songs oder bekannte Gestalten aus der Popkultur

VON JENS UTHOFF

Raucher. Viele. In allen Gemütslagen: apathisch, euphorisch. Gelangweilt oder nervös, gehetzt oder relaxt. Berühmte Raucher, gewöhnliche Raucher. In Linol geschnitzt. Der Akt des Rauchens, so offensiv zur Schau stellt, ist rar geworden: „Die Zigarette verschwindet ja völlig aus unserer Wahrnehmung“, sagt Nagel, der die Drucke erstellt hat. „Aus der Kunst, genau wie aus den Filmen.“ Die Raucherreihe des 35-jährigen Berliners ist zentraler Bestandteil der Ausstellung „Cut, Stitch & Screen“, die noch bis Sonntag in der RMCM-Gallery in Mitte zu sehen ist. Viel Rauch also – und viel Musik: Die Nähe zur Punk- und Independentszene ist es, die die drei KünstlerInnen zusammengebracht hat.

Farblich gefasste Musik

Der Berliner Autor, Musiker und Künstler Nagel, ehemaliger Sänger der Punkband Muff Potter, Meike Wolf, Illustratorin des Kölner Musikmagazins Intro, und Antje Schröder alias „Grace Helly“ aus Hamburg, die das Artwork für Bands wie R.E.M. erstellt hat, wirken innerhalb dieser Kreise seit den Neunzigern. Die aktuelle Schau zeigt Linol- und Siebdrucke, Näharbeiten und Zeichnungen. Die Werke Schröders, zumeist Konzertplakate, mögen schon über den Wiedererkennungswert funktionieren – der fein wie schlicht arrangierten Motivik der Hamburgerin wird man allein dadurch nicht gerecht. Schröder versteht es, die Musik der Bands farblich zu fassen, verbindet etwa Natur- oder Tiermotive mit musikalischen Motiven – ein in Ästen gewobenes Schlagzeug als Baumkrone – und erhält beim Betrachter einen ähnlich emotionalen Effekt, wie ihn die Musik auslösen könnte. Simple, reduzierte Kompositionen, auf den Punkt, wie die drei Akkorde auch, wenn sie nur von der richtigen Band kommen. Und Schröders Vinylscheibe, die wie eine Sonne am Horizont des Ozeans verschwindet, kann einfach keinen Musikliebhaber kaltlassen. Das Plakat war Ankündiger des „Rolling Stone Weekenders“, eines Festivals, das kürzlich in Oldenburg/Holstein über die Bühne ging.

Einen popkulturellen Bezug haben die Arbeiten Meike Wolfs zweifelsohne auch – sie aber widmet sich in der Schau Monstern, Aliens und Artverwandten. Wolf operiert mit Stick- und Näharbeiten, die sie mit Drucktechniken oder Gemaltem kombiniert. Häufig nähert sie sich ihren Themen in der Kombination aus Motiv und Slogan, etwa, wenn dinosaurierartige Wesen etwas Menschenähnliches in den Abgrund ziehen: „You don’t know how you got so sad.“ Und die Raucher? Einen geduldigen Jungen zeigt Nagel im Porträt eines Freundes, dahinter schimmern die Fugazi-Songzeilen „I am a patient boy, I wait I wait I wait I wait“ hindurch – wer’s kennt, wippt schon beim Anblick der Zeilen mit.

Auch hier, bei den insgesamt 24 Porträts, Wiedererkennungswert: „Das ist doch?“ Richtig: William S. Burroughs zur Rechten, Albert Camus zur Linken, und, ganz neu: Amy Winehouse. „Auf jeden Fall ist das auch eine Hommage“, so Nagel, der erstmals in seiner Wahlheimat Berlin ausstellt. „Eigentlich stelle ich ausschließlich Freunde dar – auch wenn ich sie zum Teil natürlich nie gekannt habe.“

Dem aus Hardcore-Tagen vertrauten Do-it-yourself-Ethos ist Nagel auch in der bildenden Kunst treu geblieben: „Ich bin Autodidakt und kann gar nicht anders“, sagt er. Auch bei den Linoldrucken: „Ich bin in einen Laden für Künstlerbedarf gefahren, habe mir Linolplatten und Werkzeuge gekauft und zu Hause ausprobiert, was man damit machen kann.“ Das war während der Arbeit an seinem zweiten Roman („Was kostet die Welt“) – da wurde ein Buchcover gesucht. Unzufrieden mit den vom Verlag vorgeschlagenen Motiven, schnitzte er ein eigenes Titelbild. Über diesen Anfangsstatus ist Nagel mittlerweile hinaus – die Schau in Berlin ist seine dritte in diesem Jahr. Die RMCM-Galerie ist zum ersten Mal Standort einer Ausstellung. „Wir dachten, nutzen wir mal den Raum, solange er noch frei ist“, sagt Nagel. „Das war alles erst mal provisorisch und spontan – so soll es sein.“

Der Raum eignet sich bestens – hell, von drei Pfeilern durchzogen, verlieren sich geneigte Besucher weder in zu großer Weite, noch stehen sie sich auf den Füßen. Zum Rauchen aber geht man besser raus.

■ RMCM Gallery, Krausnickstr 23, 18.–20. November, 12–20 Uhr