: Till von Sein und Mohammad Reza Mortazavi haben den Rhythmus
Drum, das heißt ja eigentlich bloß Trommel. Das allerdings kann ziemlich verschieden sein. Die einen programmieren die Drums am Computer, schieben bunte Klötzchen auf dem Bildschirm hin und her, um am Ende fremde Körper in Bewegung zu versetzen. Andere schwitzen dagegen höchstpersönlich, weil sie ganz direkt auf eine Trommel einhauen. Aber wie auch immer er entsteht: Der Rhythmus ist das Herz von Musik.
Erst recht das Herz des House. Für sein Debüt „#Ltd“ hat Till von Sein das programmiert, was man Deep House nennt. Den zeichnet – jedenfalls im Vergleich zu dem, was sonst so bisweilen den Tanzboden diktiert – ein gemütliches Pluckern aus. Das wird verziert mit weichen Melodien, die in die Ewigkeit davonzuschweben scheinen. Dass Till von Sein keine Sounds von der Stange, sondern fast ausschließlich Samples akustischer Instrumente verwendet, das verschafft seinen Tracks eine ungeheure Lebendigkeit. So sehr das Klangbild pulsiert, verändert es sich doch nur langsam: Alle paar Takte wird es ergänzt durch einen neuen Soundeffekt, eine kleine Basslinie, einen blechernen Bläser aus dem Synthesizer. Immer wieder schieben sich neue Melodien ins Bild, gern auch vorgetragen von weiblichen und männlichen Soulstimmen. Das entspricht zwar den Regeln des Genres, wirkt aber mitunter etwas altbacken. Im Gegensatz zur, jetzt kommen wir zum Thema, Rhythmusarbeit: Denn am besten ist von Sein, wenn er auf Gesang verzichtet und stattdessen mit geradezu religiöser Hingabe die rhythmischen Ornamente poliert. Kaum ein anderer Produzent ist in der Lage, die Rhythmik so abwechslungsreich zu gestalten, dass auch Nichttänzer ihren Spaß haben können. So entwickeln sich Exkursionen in den Rhythmus, voller Abwechslung, aber auch meditativer Kraft. Von Seins Tracks wirken bisweilen fast wie akademische Abhandlungen, die allerdings niemals im Elfenbeinturm festsitzen, sondern ihr Heil im unverrückbaren Zentrum eines jeden zünftigen House-Tracks suchen: der Bassdrum. Und die ist auf „#Ltd“ stets charakterlich einwandfrei, nämlich immer gerade raus.
Wie es der Zufall so will, heißt das neue Album von Mohammad Reza Mortazavi „Geradeaus“. Der in Berlin lebende Iraner könnte kaum weiter entfernt sein von einem angesagten Club, und doch forscht auch er auf demselben Feld wie der House-Produzent von Sein. Allein mit Daf und Tombak, den beiden persischen Handtrommeln, startet Mortazavi seine Ausflüge in den Rhythmus. Erstaunlich ist dabei vor allem, wie jemand ohne Unterstützung anderer Instrumente, ohne Gesang und mit auch bloß zwei Händen solch ein komplexes Klangbild erschaffen kann. Würde man „Geradeaus“ in Beats per Minute messen, wäre Mortazavi mitunter schneller als von Sein. Die abrupten Rhythmuswechsel allerdings verhindern einen Einsatz auf dem Dancefloor. Richtig spannend könnte es aber werden, wenn ein Produzent wie von Sein die rhythmische Finesse eines Percussions-Viruosen wie Mortazavi entdecken und daraus ein paar amtliche Tracks bauen würde.
THOMAS WINKLER
■ Till von Sein: „#Ltd“ (Suol/ Rough Trade), live: 19. 11., Stattbad Wedding; Mohammad Reza Mortazavi: „Geradeaus“ (Blowfish/Broken Silence), live: 22. 11., Lido
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