Berliner Hinterhofläden

HANDGEMACHT Angesichts gesichtsloser Massenware wächst die Sehnsucht nach traditionell hergestellten Produkten. Davon profitieren Handwerkskünste und Werkstätten

„Unsere Kunden kommen rein und sagen: ‚Schönen guten Tag, Kamelhaar kariert, Größe 43.‘ Dann brauche ich nur noch fragen: ‚Tüte oder nicht‘?“

RENO JÜNEMANN, JÜNEMANN’S PANTOFFELECK

VON ULRIKE SCHATTENMANN

Nicole Jäckle bringt Berliner Hinterhof-Flora ganz nach vorne. Genauer gesagt, auf die Vorderseite von T-Shirts. Im Siebdruckverfahren druckt sie das, was in Parks, vor ihrer Werkstatt oder auf ihrem Balkon wächst, auf T-Shirts und Hoodies. Filigrane Pusteblumen, kunstvoll drapierte Linden- und Ginkoblätter oder zarte Knöterichzweige. „Die Pusteblume habe ich noch abfotografiert, mit Photoshop bearbeitet und auf Folie gedruckt, aber die anderen Pflanzen habe ich direkt aufs Sieb gelegt und dann belichtet“, sagt Nicole Jäckle.

Vor fünf Jahren startete sie ihr Business bei ihrem Freund Ben Irion in der Küche, inzwischen haben die beiden ihr eigenes Label, „Hirschkind“, und ihren eigenen Laden: Supermarché. Es sind nur kleine Serien, die das Label produzieren kann, aber genau das ist das Geheimnis ihres Erfolgs: „Die Menschen haben ein großes Bedürfnis nach individuell gefertigten Produkten, die nicht am Reißbrett der Massenindustrie entstanden sind“, hat Jäckle festgestellt.

In dem kleinen Geschäft am Lausitzer Platz finden Kunden nicht nur schicke Großstadtpflanzen, sondern auch allerhand Getier. Neben Kohlmeisen, Eseln und Katzen sind die „Punkrock-Hasen“ ein Renner: Drei süße Häschen mit frecher Sprechblase, auf altmodisch karierte Bettwäsche oder Geschirrhandtücher gedruckt. Die Textilien stammen aus Fair-Trade-Projekten in Indien und Nicaragua oder aus einem kleinen Textilbetrieb in Sachsen.

Es ist nicht nur der Charme des Handgemachten, die persönliche Note, die kleine Werkstatt-Labels wie Hirschkind erfolgreich macht. Es ist auch der direkte Kontakt zum Kunden. Schließlich kommt es nicht häufig vor, dass der Hersteller selbst im Laden sitzt und erzählen kann, woher die einzelnen Bestandteile seines Produkts stammen. So wie Xenia Trost von 1000 & 1 Seife. „Die Milch für die Stutenmilchseife kommt von einem Gestüt in Brandenburg, der Sandthymian aus Hiddensee“, erzählt die Seifenmacherin. Vier- bis fünfmal die Woche steht Trost in der Seifenküche, die durch einen Vorhang von Laden abgetrennt ist verrührt in einem großen Topf pflanzliche Öle mit Kokosfett und Sheabutter, gibt Natronlauge und duftende Stoffe und Essenzen hinzu, Lavendel, Wildrose, Aloe Vera oder Milchpulver. Fast zu schön zum Benutzen sehen die handgeschnittenen, in bunt bedruckte Banderolen eingewickelte Seifenblöcke aus. Bestseller ist die Sorte „Zimt-Ziege“, mit Ziegenmilch und intensiv duftendem Zimtöl.

Der Renner in Jünemann’s Pantoffeleck ist seit Jahrzehnten in Form und Farbe unverändert. Mögen Mittes Szeneläden und Designer-Stores die Auslagen im Wochenrhythmus wechseln, hier, im Souterrain der Torstraße, ignoriert man konsequent Trends und flüchtige Moden. Veränderungen mögen in anderen Branchen gut sein, sagt Juniorchef Reno Jünemann – sein Familienbetrieb lebe von Beständigkeit. „Unsere Kunden kommen rein und sagen: ‚Schönen guten Tag, Kamelhaar kariert, Größe 43.‘ Dann brauche ich nur noch fragen: ‚Tüte oder nicht‘?“

Das Pantoffeleck ist ein Handwerksbetrieb mit hundertjähriger Tradition, und so wird hier auch gearbeitet. Günther Jünemann, inzwischen über 70 Jahre alt, steht an der museumsreifen Maschine und stanzt aus Textilbahnen Stoffe aus. Sein Sohn Reno spannt die Stoffe über Leisten und zwickt sie mit den Sohlen zusammen. Die sind nicht aus Plastik wie bei der Billigkonkurrenz aus Asien, sondern aus Filz oder Gummi und werden noch per Hand vernäht.

Auch Guiseppe Fornasi und Svenja Teichert sind Spezialisten, auf die man nicht häufig trifft. Die beiden gestalten Mosaiken. Große Flächen, wie etwa die Kuppel des Hamam in der Schokofabrik, aber auch Küchenplatten, Wandreliefs und kleinere Dekoprodukte, wunderschöne Seifen- oder Obstschalen in organischen Farbrastern. Die Motive entwerfen Fornasi und Teichert, die ihr Handwerk an der renommierten Mosaikschule Spilimbergo in Italien gelernt haben, teils selber, teils nach Vorlage.

Mosaikkunst ist aufwändig und zeitintensiv: 1.600 Steinchen aus in Glas eingeschmolzenem Blattgold zieren die schwere Obstschale, die in der Sonne funkelt und glitzert wie ein antiker Schatz. Bei Cosmomusivo – so heißt die Werkstatt der beiden – kommen nur per Hand gebrochene wertvolle Glassteine, sogenannte Smalten zum Einsatz. Ihre Oberfläche ist uneben und unregelmäßig. Fällt ein Sonnenstrahl darauf, bekommen die Mosaiken Tiefe und scheinen sich zu bewegen.

„Jedes Steinchen zählt, aber das Detail erkennt man nur im Zusammenhang“, beschreibt Teichert die Faszination ihrer Arbeit, die neben ihrer künstlerischen Herausforderung auch etwas sehr Meditatives hat. Speziell für Weihnachten haben die Mosaikmacher eine Serie an holzgefassten Untersetzern gefertigt, geziert von essbarem Getier. Schöner kann man den Festbraten nicht servieren.

■ Label Hirschkind im Supermarché, Lausitzer Platz 11, www.hirschkind.jimdo.com ■ 1000 & 1 Seife, Rosenthaler Straße 40/41, Hackesche Höfe/ Hof IV, www.1001seife.de ■ Jünemann’s Pantoffeleck, Torstraße 39, www.pantoffeleck.de ■ Cosmomusivo Mosaik, Prinzenstr. 85 F, im Aufbau Haus, www.cosmomusivo.de