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Archiv-Artikel

Der innere Schauplatz

Wo die Zeit den Atem anhielt: Rückzugsorte und Metaphern in den Bildern von Harald Metzkes. Eine Ausstellung im Ephraimpalais ehrt den Hannah-Höch-Preisträger

Heißa, lauter fliegende Roberts. Der ging bekanntlich an einem Tag mit schlechtem Wetter aus dem Haus, wurde vom Wind erfasst und samt seinem roten Schirm weggetragen auf Nimmerwiedersehen. In Harald Metzkes’ Bild „Der Abflug“ sieht man gleich eine ganze Gruppe von Menschen an ihren Regenschirmen durch einen düsteren Himmel sausen. Sie stoßen sich von der Dachkante eines hohen Mietshauses ab und fliegen über einen Streifen Ödland. Ob sie wie Robert für ihre Abenteuerlust gestraft werden, weiß man nicht.

Weil das Bild aber im Jahr 1989 entstanden ist und von dem Ostberliner Maler Harald Metzkes stammt, ist es auch ein Historienbild über die Zeit, als der Fluchtwillen der DDR-Bürger ihrem Staat schließlich die Öffnung der Mauer abrang. Es hängt jetzt im Ephraimpalais zusammen mit einer anderen Szene (von 1994), die den Himmel über dem Brandenburger Tor voller Engel und Teufel zeigt. Das ist ein wenig bizarrer in den Figuren, ein wenig aufgerissener in den Farben als die meisten Bilder von Harald Metzkes. Und doch auch typisch für seine Erzählweise in literarisch-poetischen Szenen, die sich immer auch für historische Deutungen öffnen.

Harald Metzkes, 1929 in Bautzen geboren, bekam den Hannah-Höch-Preis des Landes Berlin für sein künstlerisches Lebenswerk verliehen und damit eine Ausstellung, die sechs Jahrzehnte seiner Arbeit umfasst. Er hätte sicher gerne mit der alten Dadaistin in ihrem Berliner Garten gesessen, Tee getrunken und Geschichten erzählt, denn ein Hang zum Erzählerischen, Fantastischen und Theatralischen verbindet ihn mit der Namensgeberin des Preises.

Harald Metzkes studierte von 1949 bis 1953 in Dresden. Auf einem Bilde von 1957 zeigt er sich mit den Malerfreunden Manfred Böttcher, später als Strawalde bekannt, Ernst Schroeder und dem Bildhauer Werner Stötzner. Im Seitenteil des Triptychons finden sich, wie eine Verneigung vor alten Dada-Chiffren, eine Schneiderpuppe und die Beine einer Frau, die etwas überraschend aus einer Kiste gucken. Das Bild trägt alle Insignien der frühen Nachkriegszeit und ihrer verhaltenen Gesten der Anknüpfung an die Vorkriegsmoderne in Ost- und Westdeutschland.

Allein in den Bildern von Harald Metzkes scheint diese Zeit den Atem anzuhalten und sich unendlich zu verlängern. Er knüpft nicht nur mit seinen Kompositionen, sondern auch mit der spätimpressionistischen Malweise und den Farben an Maler wie Paul Cézanne, Max Beckmann und Max Liebermann und schließlich auch Picasso an. Über drei Jahrzehnte, von 1959 bis 1992, lebt er in Berlin, am Kollwitzplatz, und malt die Stadt in einer vormodernen Stille, in der nichts außer dem Sonnenlicht den leeren Raum der Straße bewohnt. Das ist eine sehr schöne und in ihrer Bescheidenheit auch anrührende Kunst. Und weil er damit andere Künstler beeinflusste, sprach man in der DDR von einer „Berliner Schule“.

Denn dass er die Schauplätze seiner Bilder nicht zufällig in großer Entfernung von jenen Gegenständen und Themen der Kunst ansiedelte, die von einer Politik in den Blick genommen wurden, war seinem Publikum in der DDR sehr bewusst. Zugleich war die Bereitschaft groß, in jedem der vielen Rätselbilder Metaphern auf die Gegenwart zu sehen. Vor allem die vielen Szenen mit den Figuren der Commedia dell’Arte oder Marionetten und Zirkusartisten sind zwar einerseits voller Spiel, Grazie und Übermut, erzählen andererseits aber auch von einer ständigen Verengung des Schauplatzes und einer Fiktionalisierung des Wirklichen. Alle Konflikte werden in historischen Kostümen ausgetragen, und eine Unterscheidung zwischen Rolle und Figur ist nicht mehr möglich. Dieser Welt fehlt ihr Außen.

Die Ausstellung im Ephraimpalais hat sein Werk in sechs Kapitel gebündelt, die zeitlich immer wieder lange Verbindungslinien zwischen früheren Bildern und den zuletzt entstandenen zeigen. „Aus dem Atelier“ heißt das letzte Kapitel, und noch immer ist die Stille in seinen Bildräumen frappierend. Sie scheinen vollgesogen mit Zeit, als ob in jedem seiner Bilder die vielen Jahrzehnte des Malens selbst mit anwesend wären.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Harald Metzkes, Ephraimpalais, Poststr. 16, 10178 Berlin, bis 17. 2. 2008