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Archiv-Artikel

Vom Park auf die Straßen

USA Occupy mobilisiert Tausende im ganzen Land. 300 Festnahmen in New York

„Es ist unglaublich, wie anregend ein bisschen Pfefferspray wirken kann“

DORLI RAINEY, 84

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Die viel geräumte Bewegung wächst weiter: Zwei Tage, nachdem die Polizei in New York die BesetzerInnen vom Zuccotti-Park vertrieben und nachdem wenig zuvor auch die demokratischen BürgermeisterInnen von Dallas, Oakland und Portland Occupy-Camps in ihren Städten geräumt haben, hat die Bewegung am Donnerstag erneut Stärke gezeigt. Mit Sitzblockaden auf Straßen quer durch die USA und auf Brücken über den Mississippi und den Chicago River. Die Polizei hat hunderte von Menschen festgenommen, meist wegen „Verkehrsbehinderung“.

In New York, wo die Occupy-Bewegung zu ihrem zweimonatigen Jubiläum eigentlich die Börse lahmlegen wollte, übernahm die Polizei die Blockade. Sie verbarrikadierte schon vor dem Morgengrauen das Finanzviertel mit Absperrgittern und schickte Tausende BeamtInnen in Kampfuniform, zu Motorrad und zu Pferde zur Börse.

Die „99 Prozent“ setzten sich am Donnerstag immer wieder in kleinen Gruppen im Finanzviertel von New York auf den Asphalt, wurden aber stets schnell vertrieben. Dabei nahm die Polizei über 300 Menschen fest. Landesweit sind nach einer Rechnung des Journalisten Thom Hartmann bis Mittwoch dieser Woche 4.049 BesetzerInnen festgenommen worden. Am Donnerstag kamen etliche hundert bei Polizeiaktionen gegen Blockaden im ganzen Land hinzu.

„Sie haben uns herausgeschmissen“, schreibt nach der Räumung von New York der Blogger Greg Palast, „aber so etwas passiert jedes Jahr fünf Millionen Amerikanern mit ihren Häusern. Es wird uns nicht aufhalten.“ Vor den Räumungen haben BürgermeisterInnen aus vielen Orten der USA bei telefonischen Konferenzschaltungen Tipps über den möglichen Umgang mit PlatzbesetzerInnen ausgetauscht. Doch die Strategie des harten Durchgreifens geht nicht auf. Die Protestbewegung ist auch nach den jüngsten Polizeieinsätzen erneut stärker geworden. „Das verschwindet nicht mehr einfach“, sagt am Donnerstag der Harvard-Dozent für Politik, Marshall Ganz, „damit muss man umgehen“.

Die Buchautorin Barbara Ehrenreich hat in den zurückliegenden zwei Monaten Besetzungen und Protestaktionen an 1.400 Orten der USA gezählt. „Diese Bewegung hat sich ausgebreitet wie keine andere seit der großen Depression der 30er Jahre“, sagt sie. Und prognostiziert, dass Rückschläge wie Räumungen die Bewegung nicht beenden werden. Bei einer Telefonkonferenz hält der Chef des Washingtoner Thinktank IPS, John Cavanagh, fest, dass die Occupy-Bewegung praktisch keine Unterstützung von der demokratischen Spitze bekommt. Er fragt: „Wo sind Barack Obama und die anderen demokratischen Politiker, die noch vor einigen Monaten so vollmundig die Proteste in Ägypten gelobt haben?“

Unterdessen diskutiert die Occupy-Bewegung ihre nächsten Schritte. An vielen Orten hält sie weiterhin Plätze besetzt – manche mit gerichtlicher Genehmigung, andere mit Duldung durch die lokale Politik. Überall bekommt sie logistische und finanzielle Hilfe von Kirchengruppen und von traditionellen linken Organisationen.

Meinungsumfragen zeigen, dass das Verständnis für ihre Anliegen in der Bevölkerung groß ist. Darauf reagieren auch jene US-Medien, die anfänglich die Occupy-Bewegung verschwiegen und später verspottet haben. Inzwischen benutzen sie ganz selbstverständlich die Begrifflichkeit der „99 %“.

In Manhattan haben einige hartgesottene BesetzerInnen seit Dienstag ohne Zelt und ohne Schlafsack – die sind verboten – im Zuccotti-Park übernachtet. Andere Vertriebene halten nach neuen Aktionsformen Ausschau. Im Gespräch sind unter anderem dezentralere, kleinere und beweglichere Besetzungen.

Eine Grundregel nennt Dorli Rainey aus dem Bundesstaat Seattle so: „Immer einen Schritt außerhalb der eigenen Bequemlichkeitszone.“ Die 84-Jährige ist in dieser Woche berühmt geworden, nachdem die Polizei ihr Pfefferspray ins Gesicht gespritzt hat. „Mir geht es prima“, sagt die alte Dame am Tag danach im Fernsehen, „es ist unglaublich, wie anregend ein bisschen Pfefferspray wirken kann“.

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