Weltberufsjugendtum

FOTOGRAFIE Muss echt sein – Tobias Zielonys „Manitoba“-Bilder im Frankfurter Museum für Moderne Kunst

So unbedarft und allgemein, dass es eher so aussieht, Zielony habe ein Jugendzentrumsprojekt geleitet

Bilder von Jugendlichen sind eine gute Sache, weil sie älteren Herrschaften etwas sagen über Dinge, die sie nicht verstehen, und über die Zukunft, die ihnen entgleitet. In dieser Richtung jedenfalls geht es in der Porträtfotografie seit fünfzehn Jahren, und ein Fotograf wie Tobias Zielony hat sich da drangehängt, ist auch schon Ende dreißig, hat sich auf Jürgen Klaukes Professur berufen lassen und spielt die Karte weiter. Der „Berufsjugendliche“ von früher, vom „Weltberufsjugendlichen“ abgelöst.

Man staunt, dass er sein Handwerk bei Timm Rautert in Leipzig erlernt haben will, denn seine Bilder sind so unbedarft und allgemein, dass es eher so aussieht, als habe er ein Jugendzentrumsprojekt geleitet und die Jungs, hauptsächlich Jungs, hätten sich selbst gegenseitig fotografiert: in Querformaten aufgereiht, mit den Fingern Zeichen machend. Tatsächlich hat man ihm in Frankfurt am Main den wunderbaren Raum im früheren Zollamt zur Verfügung gestellt, damit er die komplette Serie seiner Studie über Nachkommen von Eingeborenen in Kanada hier „zum ersten Mal vollständig“ zeigen kann. Bunte Bilder in grauen Rahmen ohne Passepartout. Muss echt sein.

Nun, es gibt nichts, was man nicht schon dutzendfach gesehen hätte. Wobei allerdings hier nicht fähige Bildjournalisten beleidigt werden sollen, die uns in großen Ansichten und Details die verheerenden Lebensweisen in den Ghettos und Nischen der Welt im Laufe der Jahre anschaulich gemacht haben, die Kinder vom Bahnhof Zoo und so weiter. Zielony erreicht den Standard des Stern nicht mit einem einzigen Bild. Womit sich ein Künstler aber messen lassen muss, wären Porträtisten von Off-Kulturen wie Diane Arbus, Larry Clark, Rineke Dijkstra und Wolfgang Tillmans Torhüter der fotografischen Sprache. Tourist auf dem Kontinent einer exotischen Libido zu sein reicht nicht aus.

Um das große Ganze anzudeuten, bekommen wir außerdem ein schwarzweißes, nächtliches, körniges Video von gut sieben Minuten zu sehen („The Deboard“, 2008), in dem einer der Betroffenen sein Schicksal betroffen ins Mikrofon mault. Das wird in einem Extraraum, als semiabstrakte Beigabe, präsentiert. Der Ausstellungsraum selbst wird beschallt durch die 1-Stunden-Doku einer Berichterstatterin, deren Report – sie besucht das kanadische Manitoba zwei Jahre nach Zielony und glaubt offenbar, auf der Fährte eines großen Ethnologen zu sein – über ein Lautsprecherpaar auf eine Holzbank herunterregnet, auf der niemand sitzt. Damit wir auch wirklich begreifen, was Zielony umtreibt. Bekenntnisvideo und literarische Volkshochschule aber können uns nicht erklären, warum die Einzel- und Gruppenbilder dieses Mannes substanzlos, arglos und fühllos sind. Ein Hauch von Zeitgeist zu konstatieren in Posen von Selbstverliebtheit und Selbstzerstörung, das geht als kritischer Standpunkt nicht durch. Um historische Tiefe anzudeuten, sind im gleichen Bildformat einige Bildzitate eingeschmuggelt, die auf eine Frühzeit verweisen, in der Indianer noch Federn trugen und nicht Baseballkäppis. Wer Quellen ernsthaft studiert, stellt sie anders dar.

Das MMK hatte mit der Sammlung des Direktors Ammann ursprünglich eine hitzige Spur in der Fotografie verfolgt, die schon mit Udo Kittelmann verloren ging. Es gibt in der Tat keine Verpflichtung, solche Fotografien in Kunstmuseen zu zeigen. Man fragt sich bisweilen, ob manche Museumsleute heute nicht simple Bildchen wie die aus „Manitoba“ benutzen, um die Fotografie, die sie ohnehin nicht verstanden haben, dauerhaft zu diskreditieren. Jeder kann erkennen, dass dies eine Sackgasse ist, ein oberflächliches Spiel mit dem Fremden, alles daran Abklatsch: Empirie, Konzept, Präsentation. ULF ERDMANN ZIEGLER

■ Bis 15. Januar 2012