: Kabelsalat im Landtag
Eon und Bundeswirtschaftsministerium machen Front gegen Niedersachsens Erdkabelgesetz: Sie halten den Bau von unterirdischen Stromtrassen für zu teuer und verfassungsrechtlich bedenklich
Alle Fraktionen wollen im niedersächsischen Landtag im Dezember ein Erdkabelgesetz verabschieden. CDU und FDP unterstützen ein Gesetz aus der Staatskanzlei, nach dem Landschaftsgebiete nicht von Freileitungen gekreuzt werden dürfen. Außerdem gilt die Erdkabel-Regelung, wenn die Stromtrassen weniger als 200 Meter von allein stehenden Häusern oder weniger als 400 Meter von Wohngebieten entlanglaufen. Danach würde etwa ein Fünftel der geplanten Trassen unter die Erde kommen. Die SPD will die Erdkabel im Vergleich günstigerrechnen. Die Grünen wollen 600 Meter Abstand zu Wohngebieten. taz
von Kai Schöneberg
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und der Energiekonzern Eon attackieren das Erdkabelgesetz der niedersächsischen Landesregierung. Es sei „technisch nicht sinnvoll“, Starkstromtrassen unter der Erde zu verlegen, sagte Urban Keussen von Eon Netz am Dienstag bei einer Anhörung des Landestags-Umweltausschusses in Hannover. Niedersachsen will als erstes Bundesland die teilweise unterirdische Verlegung von 380-Kilovolt-Leitungen ermöglichen. Das führt laut Eon für die hier geplanten Trassen zu Mehrkosten in Höhe von 450 Millionen Euro.
Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hatte vor einem Monat einen Gesetzentwurf präsentiert. Eine Reaktion auf breite Proteste gegen die 300 Kilometer langen „Stromautobahnen“, die Eon Netz bis 2015 im Land plant, um die Energie von neuen Kohlekraftwerken und Windmühlen Richtung Süden zu führen. Die Mehrkosten sind laut Wulff „vernachlässigbar“, wenn man sie auf die Betriebsdauer von 40 Jahren hochrechne und auf alle Endverbraucher umlege.
Das sieht Eon anders – und präsentierte neue Kalkulationen. Dickere Freileitungen senkten den Stromverlust auf den 60 Leitungskilometern zwischen Ganderkesee bei Bremen und St. Hülfe bei Diepholz so stark, dass bei der Erdverkabelung „30 bis 80 Prozent höhere Verluste“ entstünden, erklärte Keussen. Sein Fazit: Auch über 40 Jahre sind die von den Anwohnern wegen Elektrosmog und verschandelter Landschaft bekämpften 60 Meter hohen Strommasten um den Faktor 2,3 günstiger.
Bislang hatten SPD, Grüne wie auch die Landesregierung für ein Erdkabelgesetz gestimmt und haben drei verschiedene Entwürfe vorgelegt. Allen gemeinsam ist das Kalkül, dass sich unterirdische Kabel auf lange Sicht rentierten, da die Stromverluste bei Freileitungen höher sind als bei der in Deutschland allerdings bislang kaum erprobten unterirdischen Technik. Das Erdkabelgesetz bedeute in Niedersachsen 100-mal ein Auf und Ab der Stromtrassen, erklärte dagegen Keussen. Jedes der dort benötigten Umspannwerke koste eine Million Euro und verschlinge eine Fläche von bis zu 4.000 Quadratmetern. Großverbraucher wie die Stahlwerke Salzgitter müssen laut Keussen durch das Erdkabel-Gesetz pro Jahr mit 20 bis 30 Millionen Euro höheren Stromkosten rechnen.
Er habe „der Presse entnehmen müssen, dass das Bundesumweltministerium mit dem Land einen Gesetzentwurf vorgelegt“ habe, sagte Dieter Mentz aus dem Bundeswirtschaftsministerium, um auf den Krach zwischen seinem Chef Michael Glos (CSU) und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hinzuweisen. Aus dessen Haus stammen Großteile des niedersächsischen Gesetzes. Das Wirtschaftsministerium habe aber „erhebliche Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Landes Niedersachsen“, betonte Mentz. Das Bundesenergiewirtschaftsgesetz habe „Sperrwirkung“ für die Länder. Möglicherweise werde dieser Streit erst vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden.
„Wer soll denn nach Karlsruhe gehen?“, fragt CDU-Umweltexpertin Anne Zachow. Gabriel habe das Landesgesetz rechtlich abgeklopft: Zachow sieht „Spielraum – und wir wollen ihn nutzen“. Auch die neuen Eon-Zahlen beeindrucken sie wenig: „Jeder vertritt mit seinen Zahlen seine Interessen.“ Die CDU-Fraktion werde das Gesetz unterstützen. Alles andere würde kurz vor der Landestagswahl auch verwundern: Gestern überreichten Bürgerinitiativen in Hannover 40.000 Unterschriften für eine vollständig unterirdische Verkabelung der Trasse von Wahle bei Peine ins nordhessische Mecklar.