piwik no script img

Archiv-Artikel

Bezirkschef attackiert Senat

Mathias Frommann (SPD) will unter einem Beust-Senat nicht wieder für Nord kandidieren. Die CDU lasse die Bezirke beim Kampf gegen die Straßengewalt alleine. Kürzlich wurde sein Sohn verletzt

35 DELIKTE

Drei der vier tatverdächtigen Jugendlichen sind seit Jahren bei der Polizei einschlägig aktenkundig. Einer wegen Hausfriedensbruch und Raub, ein zweiter wegen elf ähnlicher Delikte. Gegen den vermeintlichen Haupttäter wurde seit August 2003 wegen 35 Straftaten ermittelt, darunter vier Mal wegen gefährlicher Körperverletzung. Das geht aus der Senatsantwort auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Thomas Böwer hervor. Das blutige Geschehen in der Nacht zum 3. November firmiert bei allen drei Verdächtigen lediglich als „schwerer Raub“ in den Polizeiakten.26 Mal wurden die drei den Allgemeinen Sozialen Diensten oder dem Familieninterventions-Team (FIT) gemeldet. Auskünfte darüber werden wegen des Sozialdatenschutzes nicht erteilt. Bekannt ist hingegen, dass die 1.330 Minderjährigen, welche das FIT seit Anfang 2003 betreute, während der Betreuung 1.186 Straftaten begangen haben sollen.  SMV

VON GERNOT KNÖDLER

Der Überfall auf seinen Sohn hat den Leiter des Bezirksamtes Nord zu einer drastischen Konsequenz bewogen. Sollte aus der Bürgerschaftswahl im Februar erneut ein CDU-geführter Senat hervorgehen, werde er nicht wieder für das Amt kandidieren, sagte Mathias Frommann (SPD) gestern. Der Senat unter Führung von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) habe beim Kampf gegen die Straßengewalt versagt und insbesondere die Bezirke dabei im Stich gelassen. „Ich sitze hier als Bezirksamtsleiter, der die persönliche Konsequenz aus der Erfolglosigkeit auf einem entscheidenden Feld zieht“, sagte Frommann bei einer eigens anberaumten Pressekonferenz im Bezirksamt.

Frommanns Sohn Nico und dessen Freund Daniel waren in der Nacht zum 3. November von vier jungen Männern angegriffen und schwer verletzt worden. Nico wurde ein abgebrochener Flaschenhals quer über den Hals gezogen, seinem Freund stachen ein oder mehrere ebenfalls jugendliche Täter dreimal in den Rücken.

„Das ist eine Ironie des Schicksals“, sagte Frommann senior. Seit 2003 habe er sich immer wieder öffentlich zu der zunehmenden Gewaltkriminalität insbesondere Jugendlicher geäußert. Zuletzt habe er beim Jahresempfang des Bezirks im Januar darauf hingewiesen, dass sich im reichen Hamburg die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffne. 2003 hätten knapp 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen von der Sozialhilfe leben müssen, 2006 seien es bereits 30 Prozent gewesen. Parallel hierzu sei die Zahl der Gewalttaten gestiegen. Zwischen 2000, dem letzten Jahr des rot-grünen Senats, und 2006 ist die Zahl der Körperverletzungen der polizeilichen Kriminalstatistik zufolge von 14.200 auf 21.500 gestiegen.

Für seine Entscheidung habe nicht zuletzt das Verhalten der Senatsmitglieder und der Abgeordneten der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft den Ausschlag gegeben. Bei der Aktuellen Stunde am 7. November zur wachsenden Jugendkriminalität hätten sich die Zweite Bürgermeisterin Birgit Schnieber-Jastram und anfangs auch Bürgermeister Ole von Beust nicht angemessen verhalten. Die CDU habe nur die Fehler der Vergangenheit aufgezählt und auf andere Städte verwiesen. Sie gehe das Problem aber nicht überzeugend an.

Aus Sicht Frommanns müsste der Senat die Kinderarmut bekämpfen. Er müsste dafür sorgen, dass weniger Kinder ohne Abschluss die Schule verlassen, er müsste die Lehrerschaft wieder auf das rot-grüne Niveau aufstocken und sich um die Einwanderer kümmern. „Eine konsequente Integrationspolitik ist nicht wahrnehmbar“, findet er, „und das bei einem Ausländeranteil von 15 Prozent“.

Er habe in seinem Bezirk versucht, an den Problemschwerpunkten zu arbeiten, etwa mit den Familien, die Hilfe brauchten. Die Bezirke seien aber weder personell noch materiell genügend ausgestattet, um wirksam arbeiten zu können.