: Von draußen nach drinnen
FESTIVAL Zum fünften Mal präsentiert „Folk-Art Now!“ zeitgenössische künstlerische Positionen zum Thema Folk. Dieses Mal geht es um Kunst von Außenseitern
■ „Folk-Art Now!“ findet in der Spedition im Güterbahnhof statt.
■ Die Ausstellung wird am Freitag um 19 Uhr eröffnet und zeigt Arbeiten von Klaus Beyer, Bill Van Cutten, Wenzel Storch und anderen
■ Im Rahmen der Vernissage gibt das Duo „Evil Moisture“ eine Musikperformance (20 Uhr), danach beginnt das Konzertprogramm
■ Am Freitag treten ab 21 Uhr die Bremerin Annalena Bludau und der us-amerikanische Musiker Ben Weaver auf
■ Am Samstag spielen ab 21 Uhr Hyperlion aus Frankreich und Pokkrepok aus Dänemark
■ Am Sonntag findet ab 14 Uhr ein Symposium zum Thema „Outsider Art, Outsider Music – Wo ist draußen?“ statt, ab 19.30 Uhr öffentliche Abschlussdiskussion
■ Weitere Informationen im Internet unter www.folk-artnow.de
von Andreas Schnell
Eigentlich hatte es ja schon im letzten Jahr das große Thema des „Folk-Art Now!“-Festivals sein sollen: Outsider und ihre Kunst. Aber dann kam es doch anders, gab es zwar eine Ausstellung, die irgendwie passte, und es gab auch ein Musikprogramm, aber das währte nur einen Abend.
Und das, nachdem in den vergangenen Jahren im Rahmen von „Folk-Art Now!“ ein so anspruchsvolles wie unterhaltsames Programm mit verschiedenen geographischen Schwerpunkten geboten worden war, das seinesgleichen so bald wohl bundesweit nicht gefunden hätte.
Was sich also im letzten Jahr nur andeutete, wird in diesem Jahr endlich eingelöst. „Out. Off. Order.“, heißt in diesem Jahr das Motto, und waren schon von Anfang an hier nicht eben Mainstream-Positionen zu sehen und zu hören, geht der Blick in diesem Jahr gleich ganz nach draußen. Dorthin nämlich, wo Outsider-Kunst schon im Begriff verortet ist. Außerhalb des Kunstbetriebs nämlich und zumindest partiell auch außerhalb der „normalen“ Welt und dem, was sie ihren Mitgliedern abverlangt. Denn Outsider-Kunst kommt nicht selten von Menschen, die sich nicht nur ästhetisch verweigern, sondern auch den Anforderungen von Gesellschaft, sei es willentlich oder eher nicht.
Beispiele aus der Musikwelt gibt es dafür durchaus prominente. Man denkt nicht zuletzt an Daniel Johnston, der an einer bipolaren Störung leidet und für seine fragilen Songs mittlerweile nicht nur unter Musikerkollegen enorm geschätzt wird. Ähnliches gäbe es über Wesley Willis zu sagen. Der 2003 verstorbene Musiker war schizophren, schrieb große Mengen bizarrer Songs und produzierte unzählige Zeichnungen, die seit seinem Tod auf dem Kunstmarkt mehrere Tausend US-Dollar erzielen.
Womit wir bei einem durchaus delikaten Punkt wären. Wie draußen ist Kunst denn eigentlich noch, wenn sie vom Kunstbetrieb oder der Musikindustrie entdeckt und verkauft wird? Das „Andere“ an ihr wird dabei natürlich tunlichst herausgekehrt und gepflegt. Denn das ist es ja, was sie von anderer Kunst unterscheidet, was ihr „Alleinstellungsmerkmal“ ist. Wobei sich allerdings zumindest, aber gewiss nicht nur im Pop-Betrieb dieses „Andere“ schon immer als Eigenschaft erwies, die ein Kunstprodukt interessant macht. Siehe Brian Wilson von den Beach Boys, siehe Vincent Van Gogh, siehe Robert Walser.
Hier verschiebt sich die Topographie von drinnen und draußen, erweist sich das Verhältnis zwischen Kunstbetrieb und dem ihm Fremden als dialektisch, vermittelt sich also permanent neu.
Die Kunst, die „Out. Off. Order.“ präsentiert, darf sich in diesem Sinne weitgehend auf der sicheren, weil unkorrumpierten Seite fühlen. Die meisten ausgestellten Künstler und Musiker gehören nicht zum Establishment, jedenfalls noch nicht. Das aber kann natürlich auch kein Kriterium für ein Festival wie dieses sein. Interessant ist Kunst unter ästhetischen Gesichtspunkten eben auch nicht, nur weil sie nicht im Feuilleton verhandelt wird. Weshalb natürlich spannend ist, inwieweit das, was in den kommenden vier Wochen im Rahmen von „Folk-Art Now!“ zu sehen und zu hören ist, noch weitere Schlüsse über die Outsider-Kunst zulässt.
In der Spedition und dem City 46 gibt es dafür reichlich Stoff. Die Ausstellung zeigt unter anderem Kunstwerke junger Gefängnisinsassen, die in der Bildhauerwerkstatt des Bremer Vereins „Mauern Öffnen e.V.“ in der J.V.A. Oslebshausen entstanden sind, im City 46 gibt es Kurzfilme von Wenzel Storch und eine Lesung des gelinde gesagt unorthodoxen Filmemachers sowie einen Film über den Berliner Filmemacher und Musiker Klaus Beyer, der vor allem dadurch bekannt wurde, dass er Beatles-Songs in die deutsche Sprache übersetzte. Beyer tritt auch im Konzertprogramm von „Folk-Art Now!“ auf (Samstag, 3. 12.), das sich allerdings eher lose am Motto orientiert und mit Ben Weaver einen Musiker präsentiert, der sich ganz klassischer Erzählformen bedient, die tief in amerikanischen Traditionen wurzeln.
Neu bei „Folk-Art Now!“ ist in diesem Jahr ein Symposium, das dem Thema auch theoretisch beikommen will. In Zusammenarbeit mit dem Musikwissenschaftlichen Institut der Uni Hamburg soll der unscharfe Begriff der Outsider-Kunst eingegrenzt werden, am Sonntag werden ab 19.30 Uhr die Ergebnisse präsentiert.