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Archiv-Artikel

Ab ins Archiv der Emotionen

TENNIS-WM Roger Federer deklassiert seinen ewigen Rivalen Rafael Nadal. Nach nur einer Stunde steht es 6:3 und 6:0 für den Schweizer. Nachher ist man sich einig: Es war ein Spiel für die Ewigkeit

„Ich bin selbst überrascht, wie gut ich derzeit spiele“

ROGER FEDERER

AUS LONDON DORIS HENKEL

Rafael Nadal brauchte lange, bis er nach dem Spiel zur Pressekonferenz erschien, sehr lange. Er sah zwar ein wenig blass aus, machte aber insgesamt einen aufgeräumten Eindruck und versicherte, es gehe ihm gut. So gut, wie es einem halt gehen kann, wenn man gerade die deutlichste Niederlage seiner Karriere gegen den großen Rivalen erlitten hat und sich dabei wohl wie ein Lehrjunge vorkam, der staunend zusieht, wie der Meister mit den Fingern schnippt und Funken tanzen lässt. Was am Ende in der Bilanz dieser 26. gemeinsamen Begegnung stand, die Federer in einer Stunde 6:3, 6:0 gewann, erzählt schon einen Teil der Geschichte. Von 54 Punkten, die der Schweizer machte, gehörte fast die Hälfte (28) zur Kategorie der sogenannten Winner.

Federer spielte beim ATP-Finale in London, bei dem die besten acht Spieler des Jahres zusammenkommen, was er wollte, wie er wollte, wann er wollte. Am Anfang reagierten die 15.000 Zuschauer in der Arena noch ein wenig verwirrt, denn sie mögen Nadal nach den großartigen Spielen in all den Jahren in Wimbledon kaum weniger als Federer. Aber am Ende gaben sie sich ohne den Hauch eines schlechten Gewissens dem Genuss hin; es war einfach zu schön, dem Meister beim Zaubern zuzusehen. Der meinte hinterher, rare Momente wie diese erlebe man als Spieler nicht allzu oft. Nadal sei vermutlich nicht in bester Verfassung gewesen, aber der halte ja selbst dann noch ein gewisses Niveau.

Das fand der Spanier auch. Auf den Hinweis, so ein Ergebnis könne doch kaum wahr sein, entgegnete er: „Doch, es ist wahr. Er war einfach zu gut für mich heute, und das muss ich akzeptieren.“ So wie er bisher immer akzeptieren musste, bei Spielen in der Halle nicht viel gegen Federer ausrichten zu können. In drei Versuchen beim Masters Cup und dem ATP-Finale gewann er nur einen einzigen Satz, den im Endspiel des vergangenen Jahres. „In der Halle sind die Bedingungen perfekt für ihn, um gegen mich zu attackieren. Der Ball springt nicht zu hoch ab, da ist kein Wind, er kann innerhalb des Platzes spielen. Aber wissen Sie was? Wenn er so wie heute spielt, dann schlägt er mich auf jedem Boden. Er war brillant.“

Die Frage ist, wie viel ihm fehlte, und darauf gab er indirekt eine aufschlussreiche Antwort. Angesichts der Tatsache, dass ihm auch diesmal wieder wegen des Davis-Cup-Finales in der kommenden Woche wenig Zeit bleibe, um sich auf das Jahr 2012 vorzubereiten, habe er zuletzt gewisse Prioritäten setzen müssen und sei deshalb im Moment nicht in bester Form. „Wenn du hart arbeitest, dann heißt das nicht automatisch, dass du beim nächsten Turnier toll spielst. Das muss man auf längere Sicht betrachten.“ Eine Hilfe war es sicher nicht, dass er am Tag vor der Begegnung solche Schmerzen in der Schulter hatte, dass er sich lange behandeln lassen musste.

Ein besserer Aufschlag wäre sicher eine Hilfe gegen Federer gewesen, aber allzu viel hätte selbst das vermutlich nicht geändert. Fest steht, dass Rafael Nadal nun das Spiel heute gegen den Franzosen Jo-Wilfried Tsonga gewinnen muss, um wie im vergangenen Jahr im Halbfinale zu landen. Verliert er, kann er sich auf den Weg nach Sevilla machen, wo er in einer Woche mit der spanischen Mannschaft den Davis Cup gegen Argentinien gewinnen will. Wie viel ihm die Erfolge im Kreis der seinen in diesem Wettbewerb bedeuten, ist bekannt, aber deshalb anzunehmen, er werde mit reduzierten Aufwand gegen Tsonga spielen, ist gewagt. Es sei noch nicht an der Zeit, sich aus London zu verabschieden, versicherte er. „Es ist nicht der Moment, sich hängen zu lassen. Es ist der Moment, mit positiver Einstellung weiterzumachen.“

Das fällt dem Kollegen Federer zum Ende des Jahres nicht allzu schwer. Nach dem berückenden Auftritt gegen Nadal ist er bereits für das Halbfinale qualifiziert. Ein Auftritt, den man sich für die Zeit merken sollte, in der er mal nicht mehr Tennis spielen wird. Ihm an diesem Abend zuzusehen, war aufregend, beglückend und grenzenlos schön. Ein Spiel fürs Archiv der Emotionen, das nur einen einzigen gravierenden Nachteil hatte: Es dauerte nur eine Stunde.