DVDESK
: Dies ist Amerika

James Benning: „American Dreams“, „Landscape Sucide“, Edition Filmmuseum

James Benning ist ein strukturalistischer Landschaftsfilmer und ein Archäologe von Americana

Erst mit den Filmen, die er im vergangenen Jahrzehnt drehte, wurde James Benning über die Kreise der Avantgardekenner hinaus berühmt. Mit „10 Skies“, „13 Lakes“ oder zuletzt „RR“ ist er in den Ruf eines strukturalistischen Landschaftsfilmers geraten. Dieses Label trifft die Sache nur dann ganz präzise, wenn man beide Begriffe in einem sehr weiten Sinn versteht.

Denn es sind kaum je die Strukturen als solche, die James Benning interessieren – die Elemente von Symmetrie, Rhythmus, Wiederholung und Serie bilden vielmehr die Formseite, die als Widerspiel des stets sehr persönlichen Interesses an amerikanischen Landschaften und amerikanischer Geschichte ihren Sinn hat. Und auch die Natur steht bei Benning fast niemals für sich: Arbeiten wie die Himmel- und Seenfilme sind der äußerste Pol eines Werks, dem es gerade nicht um die Leere von Landschaften geht, sondern immer um Verortung, und zwar im geografischen Raum wie in der Zeit der Geschichte.

Vier Jahrzehnte umspannt

Wie vielfältig und reich an Variationen Bennings Arbeiten sind, wird in Zukunft nicht nur der Besucher der sich zuletzt häufenden Retrospektiven, von Kunst- und Filmfestivals oder die Nutzerin illegaler Onlinearchive nachvollziehen können. Denn im Umfeld des Filmmuseums in Wien entstand bereits die erste dem Regisseur gewidmete Monografie. Eine geplante DVD-Reihe, die nach und nach das vier Jahrzehnte überspannende Werk des Regisseurs erschließen soll, wird nun mit einer Doppel-DVD in der Edition Filmmuseum eröffnet.

Sie enthält zwei Schlüsselwerke mit Filmen aus den achtziger Jahren. Der eine ist „American Dreams (lost and found)“ von 1984, der gut zwei Jahrzehnte amerikanischer Geschichte durchquert und dabei einem sehr speziellen Leitfaden folgt. Von 1954 bis 1976 spannt sich die Karriere des afroamerikanischen Baseballstars Hank Aaron, der nicht nur in den Fünfzigern das Team der Milwaukee Braves (Milwaukee ist Bennings Heimatstadt) zur Meisterschaft führte, sondern 1974 auch den Homerunrekordler Babe Ruth entthronte. Zu sehen sind in „American Dreams“ nur Tickets, Autogrammkarten und andere Memorabilia mit Hank-Aaron-Bezug. Mindestens ebenso wichtig wie das Bild ist – das gilt eigentlich für alle Filme von Benning – die Tonspur. Berühmte Reden und Interviewschnipsel von Eisenhower bis Presley, von Kennedy bis Patti Hearst und Richard Nixon werden mit Ausschnitten aus Populärmusikklassikern des jeweiligen Jahres gemischt. In James Bennings Handschrift läuft dazu am unteren Rand das Transkript des Tagebuchs von Arthur Bremer, der 1972 mit seinem Attentat auf den demokratischen Präsidentschaftskandidaten George Wallace zu dem Ruhm gelangte, auf den es ihm mit dem Attentat angekommen war.

Bild, Ton und Schrift

Bezüge zwischen Bild, Ton und Schrift stiftet hier keine übergreifende Narration. Jeder muss sich hier selbst zu dem, was man sieht und hört, in eine eigene Beziehung setzen.

Etwas anders verhält es sich beim zweiten der beiden Filme in der DVD-Edition. Eine gelegentlich aufblitzende Ich-Erzählung markiert in „Landscape Suicide“ den vor allem auf Zeitgenossenschaft beruhenden Bezug des Filmemachers zu den zwei Mordfällen, die der Film rekonstruiert. Der eine ist nicht sehr bekannt, im Jahr 1957 hat die sechzehnjährige Bernadette Protti eine Klassenkameradin ermordet. Der andere Fall ist der von Ed Gein, der aus den Leichen der zwei von ihm getöteten Frauen Gesichtsmasken und anderes bastelte und zum Modell für den „Psycho“-Killer Norman Bates wurde.

Benning behandelt beide Fälle in eigenwilliger Manier, stellt die Verhörprotokolle mit beiden Mördern nach und kontrastiert sie. Assoziativ mit diesen Szenen verbunden sind zwei Sequenzen, in denen erst eine junge Frau zu Andrew Lloyd Webbers „Moonlight“ telefoniert, später eine andere in ihrem Wohnzimmer tanzt. Dazwischen statische Aufnahmen von menschenleeren Stadt- und Naturlandschaften an den Orten der Taten. „This is America“ könnte über diesem wie vielen anderen Filmen James Bennings stehen: Er ist ein strukturalistischer Landschaftsfilmer als Archäologe von Americana.

EKKEHARD KNÖRER