: Rollentausch im Bundestag
HAUSHALT I Die Sozialdemokraten verlangen mehr Sparsamkeit, die Regierung verteidigt ihre Steuersenkung und hält steigende Schulden für okay – allerdings nur in Deutschland
■ Nach der Generaldebatte am Mittwoch wird der Bundestag am Freitag den Bundeshaushalt für 2012 beschließen. Vorgesehen sind Ausgaben in Höhe von 306,2 Milliarden Euro.
■ Bis zu 26 Milliarden davon will Finanzminister Schäuble mit neuen Krediten finanzieren. Damit liegt die Neuverschuldung unter der Grenze von 40,5 Milliarden Euro gemäß der 2012 erstmals geltenden Schuldenbremse, aber über dem Wert von 2011.
■ Der größte Posten im Haushalt ist Arbeit und Soziales mit 126 Milliarden Euro. Durch die günstige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gab es hier deutliche Einsparungen. (mkr)
AUS BERLIN MALTE KREUTZFELDT
Zumindest einmal bekam Sigmar Gabriel am Mittwoch lauten Applaus von Union und FDP: „Deutschland geht es so gut wie lange nicht“, sagte der SPD-Vorsitzende im Bundestag zur Freude der Regierungsfraktionen. Die endete erst, als Gabriel erklärte, seine Aussage sei nur der erste Halbsatz eines Zitats von Kanzlerin Angela Merkel – und dessen Fortsetzung habe gelautet: „Deshalb ist das zentrale Thema der Abbau von Schulden.“
Wenn man die Regierungschefin an ihrem eigenen Versprechen messe – das war Gabriels Kernaussage in der Generaldebatte zum Haushalt –, sei sie auf ganzer Linie gescheitert. Im Jahr 2011 liege die Neuverschuldung bei 22 Milliarden Euro. Doch obwohl der Bund durch konjunkturbedingte Steuermehreinnahmen und niedrige Kreditzinsen rund 4,3 Milliarden Euro mehr zur Verfügung habe als erwartet, plane die Bundesregierung für 2012 nicht etwa weniger, sondern mehr neue Schulden, nämlich 26 Milliarden Euro. „Sie verwechseln die Schuldenbremse mit dem Gaspedal“, rief Gabriel der Kanzlerin zu.
Während Deutschland ganz Europa zum Sparen ermahne, habe die Regierung im eigenen Land bei angekündigten Einsparungen, etwa aus der Bundeswehrreform, und Einnahmen, etwa aus der Besteuerung der Finanzmärkte, versagt und stattdessen unsinnige Ausgaben für Steuersenkung und Betreuungsgeld beschlossen. Um zu belegen, wie „verantwortungslos“ diese „Politik auf Pump“ sei, zitierte Gabriel alle, die ihm regierungsnah erscheinen: Von den Wirtschaftsweisen bis zur Bundesbank, vom Handelsblatt bis zur Bild-Zeitung.
Die Kanzlerin ging in ihrer anschließenden Rede auf die Kritik kaum ein. 40 Minuten lang sprach sie über alles Mögliche – von Afghanistan und Tunesien über Eurobonds und erneuerbare Energie bis zum Integrationsgipfel; das eigentliche Thema, der Haushalt, kam erst in den letzten fünf Minuten vor. Darin verteidigte sie die beschlossenen Steuererleichterungen als „nicht nur vernünftig, sondern absolut gerecht“ – und lieferte genau jene Argumente gegen zu starkes Sparen, die sonst immer von den Sozialdemokraten kommen: Zu starkes Sparen gefährde die Konjunktur. „Wenn wir trotz Einhaltung der Stabilitätskriterien einen Beitrag zum Wachstum liefern, werfen Sie uns das vor“, sagte die Kanzlerin an Gabriel gerichtet. Das sei „an Doppelzüngigkeit kaum zu überbieten“.
SIGMAR GABRIEL, SPD
Auch der FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle verteidigte die Steuersenkung. „Der Staat darf sich nicht an der Inflation bereichern“, sagte er. Zu den neuen Schulden sagte er, es sei „richtig, jetzt nicht zu stark auf die Bremse zu treten“. Den Vorwurf, dass die Regierung für 2012 eine höhere Neuverschuldung plane als für 2011, wies er aber zurück. Wie hoch die Schulden tatsächlich ausfallen, sei jetzt noch nicht absehbar; auch für 2011 sei ursprünglich ein deutlich höherer Wert eingeplant worden, als jetzt tatsächlich benötigt werde.
Neben dem Bundeshaushalt nahm der Streit über den richtigen Ausweg aus der Eurokrise breiten Raum ein. Hier gab es allerdings weniger Überraschungen: Den neuen Vorstoß der EU-Kommission für gemeinsame europäische Staatsanleihen lehnen Merkel („unpassend“) und Brüderle („Zinssozialismus“) entschieden ab, SPD und Grüne halten sie für unverzichtbar.
Einen neuen Vorschlag brachte lediglich Linken-Chef Klaus Ernst ein. Er forderte, alle griechischen Konten mit Einlagen von mehr als einer Million Euro in Deutschland einzufrieren – um zu prüfen, ob die Gelder ordnungsgemäß versteuert sind.
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