Kampf der ästhetischen Anschauungen

ABSTRAKT ODER FIGURATIV Mit der Ausstellung „Der geteilte Himmel. 1945–1968“ präsentiert die Neue Nationalgalerie Berlin einen Teil ihrer ständigen Sammlung

VON MARCUS WOELLER

1945 teilte sich nicht nur der Himmel. Die politischen Ideologien verkeilten sich zu Blöcken, die sich mal skeptisch, mal aggressiv beäugten. Für die Individuen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs war es bisweilen existenziell, sich auf diese oder jene Seite zu schlagen. Christa Wolf schildert in ihrer Erzählung „Der geteilte Himmel“ von 1963 von einer Liebe im Hin und Her zwischen Ost und West, die schließlich an einer räumlichen Trennung scheitert, die sich längst schon emotional angekündigt hat.

Die Neue Nationalgalerie leiht sich Wolfs Titel nun für den zweiten Teil der Sammlungspräsentation: „Der geteilte Himmel. 1945–1968“ folgt dem Überblick über die Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, für deren Titel Charlie Chaplins Film „Moderne Zeiten“ Pate stand. Die rasante Epoche zwischen Kriegsende und Studenten- und Bürgerrechtsbewegung war vom Kampf der Weltanschauungen geprägt, moralisch wie ästhetisch. Schon im Foyer stört nun eine hyperrealistische Skulptur von Duane Hanson die Barcelona-Sessel-Eleganz Mies van der Rohes: Ein weißer Cop prügelt auf einen am Boden liegenden Schwarzen ein. Dazu gesellen sich zwei strenge Huldigungen Josef Albers’ an das Quadrat, ein ikonografisch übervoller Willi Sitte und eine nicht minder monumentale, monochrom rote Leinwand Rupprecht Geigers.

Die Welt der Kunst teilte sich auch unabhängig von politischen oder gesellschaftlichen Differenzen in die Anhänger von Abstraktion einerseits und die der Figuration andererseits. Dass diese Seiten nicht immer deckungsgleich mit Osten und Westen zu verstehen sind, will die Ausstellung deutlich machen, dabei steht sie auch zu den Lücken innerhalb der Sammlung. Der Leiter der Neuen Nationalgalerie, Joachim Jäger, beklagt etwa das Fehlen eines Jackson Pollock, auch seien Werke von Künstlerinnen unterrepräsentiert, genauso wie Arbeiten aus Osteuropa. Doch geht es ihm nicht um eine repräsentative Darstellung der Nachkriegskunst, sondern darum, wie sie sich in den nach der Wende wieder zusammengeführten Sammlungen der Nationalgalerie abbildet.

Filigrane Hängung

Abstrakt oder figurativ? Für die Künstler in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine essenzielle Frage. Der Blick schweift zu einer Vielzahl kleinformatiger Gemälde und Skulpturen, die wegen der filigranen Hängung an Eisenstangen an die erste Documenta erinnern und diese künstlerische Entscheidungsfindung anschaulich illustrieren. Heinrich Ehmsens „Wahnsinnige Harlekine vor den Trümmern des Krieges“ bezeugt die Auferstehung aus Ruinen noch mit naiver Sachlichkeit und Galgenhumor. Der Maler Wols hat mit der Kriegserfahrung die Figürlichkeit schon vollständig abgeschüttelt. Während Karl Hartung an der Grenze zwischen freier Form und abstrahierter Gegenständlichkeit modelliert, hält der Bildhauer Fritz Cremer bitter fest an der Figur.

In der DDR diente Picasso als Lichtgestalt eines Künstlers, nicht nur, weil er sich westlich kokett dem Kommunismus verschrieben hatte, sondern weil es ihm gelang, Abstraktion und Gegenständlichkeit zu verschmelzen. Aber auch der Surrealismus der 1930er Jahre galt vielen Künstlern als Möglichkeit, in der Figuration zu verbleiben, wenngleich mit völlig divergierenden Darstellungsformen. Mythisch-ethnografisch beim Kubaner Wifredo Lam, mit Anklängen an Max Beckmann und Art Déco bei Harald Metzkes oder bizarr an Dalí und Hieronymus Bosch erinnernd bei Sitte. Die Gruppe Cobra wendete sich dagegen ab vom surrealistischen Formprogramm und formulierte einen gestischen, farbgewaltigen Expressionismus. Zeitgleich haben die Protagonisten der Vereinigten Staaten mit der Gegenständlichkeit schon radikal abgeschlossen. Figuration repräsentiert sich nur noch im physischen Malvorgang, in der Erhabenheit von Form und Farbe oder im Verhältnis des eigenen Körpers zum Kunstobjekt.

Konkreter als diese mittlerweile historischen Probleme von Abstraktion und Figuration drängen in Berlin aber aktuelle kulturpolitische Entscheidungen. Die Ausstellung dokumentiert die Platznot der Neuen Nationalgalerie, die es unmöglich macht, die Sammlung dauerhaft parallel zu Sonderausstellungen zu präsentieren. Der Generaldirektor der Staatlichen Museen, Michael Eissenhauer, bekräftigte seinen Willen, den Werken des 20. Jahrhunderts mehr Raum zu geben. Das Gebäude der Gemäldegalerie würde sich anbieten, dafür müssten die Alten Meister nahe der Museumsinsel einen Erweiterungsbau zum Bode-Museum bekommen. Mit der Freigabe des Planungsauftrags für die Sanierung des Mies-Baus bekommt dieses Zukunftsprojekt nun hoffentlich neuen Schwung.

■ „Der geteilte Himmel. Die Sammlung. 1945–1968“, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin, bis Frühjahr 2013