: Polemik oder Dialog?
AFRIKA Im Berliner HAU stellte das „Return to Sender“-Festival künstlerische Positionen zum Umgang mit dem Erbe der Kolonialpolitik und zu ihrer Aufarbeitung vor. Die Kunst muss dabei aber eine kaum zu bewältigende Aufgabe übernehmen. Eine Zuspitzung
VON ASTRID KAMINSKI
„Wir müssen uns daran gewöhnen: Wir sind schuldig.“ Im Rückblick auf die Berliner „Kongo-Konferenz“ sind sich Angela Merkel und ihre Politikerkollegen David Cameron und Mariano Rajoy aus den konservativen Lagern Englands und Spaniens einig. Die willkürliche Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den europäischen Kolonialmächten, zu der man sich vor 130 Jahren auf Initiative Portugals und Einladung Bismarcks in Berlin traf, sowie die weiteren damit in Zusammenhang stehenden Verbrechen, fordern eine Entschuldigung. Diese Haltung entspringt jedoch keinem plötzlichen Wandel der EU-Politik, sondern schlicht einer Fiktion: Für die theatrale Installation „Banana Republics – Here Be Dragons“ von Boyzie Cekwana und Nina Støttrup Larsen laufen auf einem der rundum installierten Bildschirme stummgeschaltete Politikerreden. Der im Untertitelungsstil montierte Entschuldigungstext suggeriert dabei, dass er deren Inhalt wiedergeben würde.
Neuralgische Zustände
„Banana Republics“ spielte in Whitefacing-Manier zum Auftakt des Festivals „Return to Sender“, das im Berliner HAU künstlerische Positionen zum Umgang mit dem Erbe der Kolonialpolitik zeigt. Und obwohl es nur eines – wenn auch das thematisch expliziteste – der Eröffnungsstücke war, steht es für mehrere neuralgische und gesellschaftspathologische Zustände, an denen sich ablesen lässt, wie ungelöste politische Situationen sich in die künstlerische Praxis niederschlagen und sie erschweren.
Das fängt an mit den Geldern. Gefördert wird das Festival vom TURN-Programm der Kulturstiftung des Bunds, die noch bis 2019 insgesamt 10,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, um die Zusammenarbeit zwischen deutschen und Künstlern aus afrikanischen Ländern zu stärken. Aus demselben Fördertopf bestritt am Wochenende zuvor auch die Berliner Volksbühne den ähnlich gelagerten Thementag mit dem einigermaßen überladenen Titel „Afrika-Konferenz: 130 Jahre Berlinisierung eines Kontinents und Einübung ins Verbrechen“.
Man kann sich darüber streiten, ob das Aufarbeitungsanliegen glaubwürdiger rezipiert werden könnte, wenn es ohne die dirigistische Geldervergabe, die sich gleichzeitig als Alibi lesen lässt, auskäme. Gleichzeitig ist die Setzung der Kulturstiftung eine notwendige Reaktion auf den aktuellen Diskurs. Einen Überblick über die entsprechenden Berliner Arbeiten und Initiativen hat Helmut Höge in der taz vom letzten Donnerstag gezeichnet.
Eine der herausragenden Positionen darin hat das Ballhaus Naunynstraße in den letzten Jahren eingenommen. Nach dem Wechsel von Shermin Langhoff ans Gorki hat es seine politisch künstlerische Haltung neu ausgerichtet und sich vor allem auf afrodeutsche Perspektiven fokussiert. Ein einfacher Akt war und ist das nicht. In den Diskussionen etwa zu Black Body Politics oder kolonialer Aufarbeitung wurde ziemlich schnell klar, dass weder Akteure noch Publikum dem Thema gewachsen sind. Woher auch. Ein allgemeiner Bildungshintergrund zu deutschen und europäischen Kolonialverbrechen oder ein Grundlagenwerk zur Sprache des kolonialen Rassismus, wie es etwa Victor Klemperer für die Zeit des „Dritten Reichs“ geschrieben hat, existiert nicht. Die Diskurse der Postcolonial- oder Critical-Whiteness-Studies etablieren sich in Deutschland erst langsam. Und auch wenn Kinder jüngst nicht mehr mit rassistischen Kinderliedern aufwachsen: zu langsam.
Das scheint inzwischen unter anderem auch dahin zu führen, dass sich die wenigen, die sich fundiert mit „afrikanischen“ Perspektiven beschäftigen, eher eine gegen die „Mehrheitsgesellschaft“ sich abgrenzende Solidaritätshaltung entwickeln als den offenen Positionenabgleich suchen. Das ist umso nachvollziehbarer, als zusätzlich oftmals Erfahrungen von Alltagsrassismus auf diese Solidarität angewiesen machen. Starke Stimmen wie die der Theoretikerin und Autorin Grada Kilomba in Berlin drängen daher zu einer relativ kompromisslosen „Empowerment“-Haltung – mit der nicht zu leugnenden Folge der Verhärtung der Positionen.
Auf Grundlage eines politisch nachvollziehbar vorausgesetzten „Weiß gegen Schwarz“ entsteht, zugespitzt, ein „Schwarz gegen Weiß“. „Weißsein“ wird mit Rassismusverdacht und mit Verdrängungspolitik belegt, „Weißen“ die qualitative Teilnahme an einem gemeinsamen Diskurs aufgrund ihrer Hautfarbe abgesprochen. Das hervorstechende rhetorische Mittel bei Diskussionen ist dabei fast zwangsläufig die Polemik. Symptomatisch setzt Alexandre Kum’a Ndumbe die Haltung des Volksbühnen-Publikums mit der offiziellen Position von dessen Regierung gleich und ruft ihm unter Bezug auf historisches Vokabular zu: „Ihr seid nicht Gott!“
Eingefahrene Situation
Diese eingefahrene Situation findet zwar einen satten Nährboden in der spezifisch deutschen Haltung zwischen zur Schau getragenem Aufarbeitungswillen im Hinblick auf die NS-Zeit und politischer Verweigerungshaltung im Bezug auf den Kolonialismus. Sie geht aber, wie könnte es auch anders sein, noch darüber hinaus.
Es ist dieselbe Problematik, die das derzeit im Kontext wohl meistbeachtete Buch „Critique de la raison nègre“ (ins Deutsche pathologisch mit „Kritik der schwarzen Vernunft“ übersetzt) von Achille Mbembe zeichnet, der auch für das Konzept des HAU-Kurators Ricardo Carmona ein wichtiger Referenzdenker ist. Sein Buch, das den globalen Kapitalismus auf den Warencharakter des Menschen als Prinzip der Sklaverei zurückführt, Reparationszahlungen der ehemaligen Kolonialmächte an die ehemaligen Kolonialisierten sowie eine Aufarbeitung der Sprache des Kolonialismus fordert, ist äußerst polemisch.
Und beißend polemisch sind wiederum auch die „Banana Republics“ als eine der Eröffnungsveranstaltungen des HAU-Festivals. Mit zum Programm gehören eine Aufforderung zum Singen und Spielen rassistischer Inhalte, die Feststellung „auch Weiße essen Bananen“ und ein in überdeutlicher Symbolik zersägter Holztisch in der Form Afrikas.
Polemik hat es so an sich, auf Konfrontation zu setzen. Und es wird damit zur dringenden Frage, ob eine inszenierte Repräsentanzhaltung von schwarzen Künstlern als Vertretern der „afrikanischen“ Position und vorwiegend weißem Publikum als gegnerischem Vertreter des „alten Europa“ zu einem kritischen und damit weiterbringenden Diskurs führen kann. Dass die politischen Voraussetzungen für einen Dialog nicht gegeben sind, ist vollkommen klar. Klar ist auch, dass die Kunst, mit allem, was sie auf diesem Gebiet schon erreicht hat, an dieser Ignoranz ersticken kann.