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Archiv-Artikel

Zähes Warten auf ein freies Leben

HASSLIEBE Wie man seine Würde behält, auch in finsteren Zeiten: Inger-Maria Mahlke, als Autorin bislang auf Gegenwart abonniert, beschreibt ein Frauenleben im wilden Elisabethanischen Zeitalter. „Wie Ihr wollt“

VON CHRISTINE REGUS

Auf dem Scheiterhaufen einen Brustbeutel mit Schießpulver tragen. Die eigene Enthauptung proben, damit das Beil den Nacken sauber trifft. Nahrungsverweigerung bis zum Hungertod. Das sind so die Selbstbehauptungsstrategien, wenn es zum Äußersten gekommen ist. Wenn man im Tower sitzt. Als Protestant. Oder Katholik. Je nachdem, welche Fraktion gerade das Zepter hält. Und welche Gegenfraktion somit Verfolgung wegen Hochverrats fürchten muss.

Das Elisabethanische Zeitalter hat bis heute nichts von seiner Faszination verloren, nicht nur wegen Shakespeare und als wichtige historische Umbruchszeit, sondern auch weil man nicht zimperlich war im England des 16. Jahrhunderts. Weil es in den höfischen Machtkämpfen um Leben und Tod ging, weil es blutgetränkte Geschichten in Hülle und Fülle liefert.

Anspruch auf den Thron

Eine der unbekannteren Geschichten aus dieser Zeit ist die von Mary Grey, einer kleinwüchsigen Cousine Elisabeths I. Im Todesfall Elisabeths hätte sie Anspruch auf den Thron gehabt. Ihre Schwestern waren durch Schafott und Haft aus dem Weg geräumt, sie selbst fiel allerdings wegen einer heimlichen Heirat in Ungnade, wurde verbannt und starb kinderlos mit 33 Jahren. Mary Grey ist die Hauptfigur des neuen Romans von Inger-Maria Mahlke.

Das ist schon mal interessant. Mahlke, 1974 geboren, hat sich mit ihren ersten Romanen, „Silberfischchen“ und „Rechnung offen“, als begabte Erzählerin erwiesen, mit markantem Stil und unbarmherzigem Blick auf die unschönen Seiten des Großstadtlebens, präzise in der Beschreibung der Details trister Berliner Milieus. Dass sie sich einem historischen Stoff nähern würde, lag nicht unbedingt auf der Hand.

Und tatsächlich bringt sich „Wie Ihr wollt“ bereits im Titel als schroffes Gegenstück zu Shakespeare in Stellung. Wo in dessen Lustspiel „Was ihr wollt“, immer wieder gern gespielt auf unseren Theaterbühnen, eine selbstbestimmte Gräfin und heitere Diener, prächtige Kostüme und unbeschwerte Erotik die Szenerie bestimmen, wartet bei Mahlke eine zornige Mary Grey in der Verbannung auf Gnade, in Hassliebe verkeilt mit ihrer Kammerzofe Ellen. Sie hat die Rolle als monströses Kindweib angenommen. Werden Wäschetruhen geöffnet, stieben Motten heraus, üble Gerüche kommen aus zahnkranken Mündern, Sex bedeutet vor allem, dass hinterher irgendwo Samen klebt.

Inger-Maria Mahlke bleibt dem finsteren Kammerspiel also treu. Sie beleuchtet ein Schattendasein mit kaltem Licht – unbeeindruckt davon, dass das Elisabethanische Zeitalter gemeinhin als goldenes gilt. Radikal konzentriert sie sich auf Marys Perspektive: Tagebuchartig beschreibt diese als Ich-Erzählerin das zähe Warten auf ein freies Leben. Launisch und selbstgerecht berichtet sie von dem eintönigen Alltag unter Hausarrest, geprägt von Machtkämpfen mit der Dienerin, der sie wegen ihrer Kleinwüchsigkeit ausgeliefert ist, wofür sie sich mit Sadismus rächt. Zwischendurch schreibt Mary wie eine Besessene. Sie schreibt ihre Version von der Familiengeschichte, den Ritualen am Hof, den Umstürzen und des Lebens der Mary Grey.

Ein allzu scharfer Verstand

So wechseln sich Tagebucheinträge und Reflexionen über die Vergangenheit ab, und wenn man sich an den barschen Ton gewöhnt hat und in etwa durchblickt, wer in Marys Welt wer ist, gerät man in ihren Bann. Nie heischt sie um Verständnis, sie brüskiert durch halbfertige Sätze und das Weglassen wichtiger Informationen. Dass es Mahlke erzählerisch gelingt, dennoch Zuneigung zu diesem eigensinnigen Geschöpf zu wecken, ist bemerkenswert: Zwischen all den unfreundlichen Worten und krassen Ereignissen spricht einen sehr direkt eine verletzte Seele an, von einem ungewöhnlichen Körper zu stark begrenzt, durch einen allzu scharfen Verstand verbittert.

Durch Marys Fixierung auf Abhängigkeiten und soziale Asymmetrien entfaltet „Wie Ihr wollt“ gewissermaßen eine Phänomenologie von Macht und Ohnmacht, das eigentliche Thema des Romans. Die komplexe Beziehung zwischen Mary und Ellen verdeutlicht, dass Macht und Herrschaft nicht das Gleiche sind; die Folgen absoluter Macht werden im devot-hinterhältigen Gebaren der Höflinge gezeichnet. Der Körper wird als zentraler Bestandteil der Inszenierung von Macht erkennbar, Deformation und Siechtum als Ohnmachtserfahrung werden farbenfroh ausgemalt. Es geht bei alldem aber nicht um Schockeffekte, sondern – und das ist das Berührende – um die Frage, wie man unter widrigen Umständen seine Würde behalten kann.

Mary versucht es, indem sie schreibt. Das kann man als Selbstbehauptung werten, als Kampf um Deutungshoheit: Auch Geschichte schreiben ist Machtausübung.

Die Autorin stellt in einem Nachwort klar, sie sei keine Historikerin und habe keinen historischen Roman schreiben wollen. Das wäre gar nicht nötig gewesen. Ihr Experiment ist geglückt.

Inger-Maria Mahlke: „Wie Ihr wollt“. Berlin Verlag, Berlin 2015, 272 Seiten, 19,99 Euro