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Archiv-Artikel

Weltfrieden und Abrentnern sofort

WESTBAND Als hänge man mit dieser Clique ab: Marc Degens trifft Tempo und Sound bei seiner Geschichte um eine Schülerband. „Fuckin Sushi“

Bei 03:06 endet dieser Roman, wie eine gute, flotte Punkrocknummer. Nur geben die Ziffern hier, in Marc Degens’ „Fuckin Sushi“, nicht die Minuten, sondern die Seitenzahlen an, auf denen sich das Geschehen abspielt (das noch durch tolle Bonustracks ergänzt wird). Vieles bei Degens ähnelt dabei tatsächlich einem knalligen Auf-den-Punkt-Song: zuallererst das Tempo, der Drive, der Witz, mit dem er erzählt.

„Fuckin Sushi“ heißt die Band, deren Geschichte der Autor in seinem vierten Roman vordergründig erzählt. Es ist die Story einer prototypischen Bandgründung von Schülern: Icherzähler und Bassist Niels und Sänger René (bzw. „R@“ wie rat) finden sich zunächst zu einer Art dadaistischer Performancecombo zusammen, ehe sie über Umwege zu einem Proberaum und zu ihrem Drummer Lloyd kommen – einem Typ mit einem leichten Schatten, der gut zu ihnen passt, wie sie finden (und dessen Lieblingswort „Kackomat“ sich durchs ganze Buch zieht).

Lloyd macht dann den ersten Auftritt gleich versehentlich für ein Bundeswehrfest klar – dort trifft das Trio auf die zukünftige Keyboarderin Nino, die mit ihren auch irgendwie bundeswehrmäßigen Eltern beim Konzert ist. Nun zum Quartett angewachsen, landen Fuckin Sushi mit einem Livevideo einen YouTube-Hit. Fortan schafft die Combo es raus aus den Jugendzentren ihrer Heimatstadt Bonn und tingelt durch die Republik, zum Teil verfolgt von bundeswehrmäßigen Eltern – und stets schwer pubertierend: Für Niels besteht die Welt aus Ricarda mit den großen Brüsten, seinem iPod und seinem Bass. Das Motto seiner Band: „Weltfrieden und Abrentnern sofort“.

Den Sound trifft der Autor hervorragend; es ist, als hänge man mit dieser Clique ab. Kein Wunder, ist Degens doch als Herausgeber der SuKuLTuR-Reihe, jener an die Reclam-Hefte angelehnten Bändchen, in denen meist Mainstreamfernes publiziert wird, dem Underground und D.I.Y. nah. Das merkt man auch, wenn seine Figuren über Drone-, Metal- oder Prog-Rock-Bands sprechen.

Der 1971 geborene Degens siedelt die Handlung im Heute an, und nicht, wie zahlreiche Popromane zuvor, in der Jugend der Autoren – gut so. Das Netz etwa spielt immer latent eine Rolle, nicht nur für den Erfolg dieser Band, sondern auch als diffuse Begleiterscheinung im Leben der Protagonisten. Es entstehen gelungene Zwischentöne: „Wisst ihr eigentlich, was Algorithmen sind?“, fragt Niels einmal. „Sind die wirklich so wichtig? Ich habe echt keine Ahnung.“

Über weite Strecken ist „Fuckin Sushi“ eine spannend geschriebene Hommage an das Unreglementierte, das Unreflektierte, das Jungfräuliche der Jugend – wobei auch diesbezüglich die Zwischentöne, ein heute anders erlebtes „No future“, stimmen.

Icherzähler Niels, der im Laufe der Handlung natürlich auch noch mit Ricarda schläft, hat übrigens eher ein Faible für übermäßig lange und eher langsame Songs. Die Story aber bleibt bis zum Ende packend wie ein Dreiminüter. JENS UTHOFF

Marc Degens: „Fuckin Sushi“. Dumont Verlag, Köln 2015, 320 Seiten, 19,99 Euro