HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER : Die Sonnenanbeterin
Wo die Wasserschildkröten herkommen, weiß jedes Kind – war es doch selbst dabei, als seine Eltern, einige Tage nach der Geburtstagsfeier, klammheimlich, mit einer Plastiktüte voll Wasser unter dem Trenchcoat in den botanischen Garten schlichen, um die geschenkten Wasserschildkrötenbabys einem glücklicheren Leben zuzuführen. „Guck doch Jan-Paul, hier haben die doch auch so viele Freunde!“
Und nix wie weg, an dem botanischen Gartenwächter vorbei, der am Ende des Tages eine weitere Speckgürtelwasserschildkröte vom überfüllten Becken in den benachbarten Teich setzt, „hat bisher noch keiner Schildkröte geschadet“.
Im Sommer waren noch all diese Findelkröten gemeinsam zum Sonnenbaden aufgetaucht, hatten ihre Handtücher auf sämtliche umgekippten Baumstämme im Wasser ausgebreitet, eine hinter der anderen aufgereiht, wie am Strand auf Mallorca. Jetzt ist November.
Auch gestern war die Wasserschildkröte da, auf ihrem Baumstamm. Sie hat ihn ganz für sich alleine. Sie streckt ihren Kopf in die Sonne, wie eine Jeanne d’Arc. Unter dem gärigen Laubmoder am Teichboden ist es doch wärmer, das haben die anderen ihr schon tausendmal gesagt. Voller Genuss streckt diese Wasserschildkröte den Kopf in die Sonne, niemand genießt sie so sehr wie sie.