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Archiv-Artikel

„So etwas habe ich noch nie erlebt“

Sieben Stunden lang haben die Leuchtquallen die Lachskäfige der Firma Northern Salman in der irischen See angegriffen

DUBLIN taz ■ Das Meer war rot vor lauter Quallen“, sagte John Russell, der Geschäftsführer der einzigen Lachsfarm Nordirlands. „Wir konnten überhaupt nichts machen.“ Millionen von Leuchtquallen – Russell spricht sogar von Milliarden – haben die beiden Netzkäfige der Firma Northern Salmon sieben Stunden lang angegriffen. Am Ende waren 100.000 Zuchtlachse tot.

Sie starben an den Wunden, die ihnen die Quallen beibrachten, und am Stress. Angestellte der Farm versuchten, die Käfige in drei Booten zu erreichen, aber sie kamen aufgrund der Quallendichte nur langsam voran. Als sie nach Stunden die Käfige anderthalb Kilometer vor der Küste in der Irischen See bei Cushendun in der Grafschaft Antrim erreichten, war es zu spät.

„Wir sind immer noch dabei, das ganze Ausmaß des Schadens festzustellen, aber er ist mit Sicherheit gewaltig“, sagte Russell. Er rechnet mit einem Verlust von umgerechnet rund 1,5 Millionen Euro. Es werde mindestens zwei Jahre dauern, bis sich die Firma wieder erholt hat – wenn überhaupt. „Es ist nicht sicher, ob wir überhaupt weitermachen können“, sagte er. „Unser Lachs ist ein Top-Produkt und ein Aushängeschild der Fischereiindustrie in Nordirland. Deshalb wäre es so wichtig, dass wir wieder auf die Beine kommen und uns von diesem erheblichen finanziellen Verlust wieder erholen.“

Das nordirische Landwirtschaftsministerium hat eine Untersuchung eingeleitet. Ministerin Michelle Gildernew von Sinn Féin, dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), erwägt zurzeit noch, der Firma finanziell unter die Arme zu greifen, um die Arbeitsplätze der zwölf Angestellten zu retten.

Northern Rock verkauft den Lachs unter dem Namen „Glenarm Salmon“ an einige der besten Restaurants in London. Voriges Jahr bekam die Queen eines der Tiere zu ihrem 80. Geburtstag aufgetischt, zubereitet vom Starkoch Richard Corrigan. Die Lachse werden auch nach Deutschland, Frankreich, Belgien und in die USA exportiert. Ihre Qualität beruht auf den starken Tidenhuben, die den Fischen einiges abverlangen, und dem relativ sauberen Wasser am nördlichen Ende der Irischen See. Weil das Unternehmen auf Chemikalien und Antibiotika verzichtet, tragen die Produkte das Gütesiegel des Organischen Lebensmittelverbandes.

„Es ist eine Katastrophe für das Unternehmen“, sagte Russell. „Dagegen gibt es keine Gesetze.“ Er hatte seine Stelle als Geschäftsführer erst drei Tage vor dem Angriff der Killerquallen angetreten.

Russell stammt aus dem schottischen Fort William, wo er bis dahin auf einer Fischfarm gearbeitet hatte. „In den dreißig Jahren, in denen ich in diesem Geschäft bin, habe ich so etwas noch nie erlebt“, sagte er. „Es war beispiellos – absolut verblüffend.“

Der Quallenschwarm bedeckte eine Fläche von mehr als dreißig Quadratkilometern. Zwar hat es auch früher schon Quallenangriffe auf Fischfarmen in Großbritannien und Irland gegeben, aber die Leuchtqualle, wissenschaftlich „Pelugia noctiluca“, kommt in den kühleren Gewässern eigentlich nicht vor. Man nimmt an, dass sie durch starke Nordwinde dort hingetrieben wurden.

RALF SOTSCHECK