: Mit Schweigen aus dem Schatten
NEUE MUSIK Gerade haben die Hamburger Klangwerktage den europäischen Musikvermittlungspreis YEAH gewonnen. Ab heute rückt das Festival für zeitgenössische Musik Neue Musik aus dem Iran in den Mittelpunkt
VON ROBERT MATTHIES
Zurecht stolz sein kann Christiane Leiste schon vor der Eröffnung der sechsten Hamburger Klangwerktage heute im Kulturzentrum Kampnagel. Vor zwei Jahren hat die bayrische Kulturmanagerin die künstlerische Leitung und Geschäftsführung des Festivals für zeitgenössische Musik übernommen. Und sich eine Menge vorgenommen: Neue Musik zu einem ernst zu nehmenden Kulturfaktor in einer Stadt zu machen, in der sie viel zu lange nur ein Schattendasein in kulturellen Nischen fristen musste. Und zeitgenössische Kompositionen im Rahmen eines großen Festivals zu präsentieren, das nicht nur ein immer viel zu kleines Spezialisten-Publikum anspricht, sondern „Strahlkraft“ über die Stadt- und Szenegrenzen hinaus entwickelt.
Dass ihr das trotz des kleinen, aus zahllosen kleinen Quellen zusammenfinanzierten Etats mit viel Risikobereitschaft, jeder Menge unkonventioneller Ideen und unstillbarer Neugier auf Anhieb gelungen ist, machen nicht nur die begeisterten Rückmeldungen aus der lokalen Kulturszene deutlich. Letzten Samstag wurde das Klangwerktage-Projekt „Void“ in Osnabrück als einziges deutsches Projekt mit dem ersten europäischen Musikvermittlungspreis „YEAH – Young EARopean Award“ ausgezeichnet. Begeistert war die Jury dabei vor allem, weil die intensive gemeinsame Auseinandersetzung von Schüler_innen der Rudolf-Steiner-Schule Harburg und der École Perceval Paris mit dem Verhältnis von Musik, Geschichte und Architektur vor zwei Jahren „weit mehr als ein reines Musikprojekt“ war. Die Schüler_innen entwickelten ein eigenes Werk, das sich zugleich auf die Architektur Daniel Libeskinds und auf die in Reaktion darauf entstanden Kompositionen Void I und II des Komponisten Nikolaus Brass bezogen hatte.
Auch dieses Jahr hat Leiste wieder ein ebenso ehrgeiziges wie interessantes Programm zusammengestellt. Denn einen Schwerpunkt setzen die diesjährigen Klangwerktage auf die Neue Musik aus einem Land, über das man hier gemeinhin in dieser Hinsicht nur wenig weiß: Iran. Was nicht zuletzt daran liegt, dass sich die Situation künstlerischer Produktion im Land der Mullahs durchaus auf den Begriff der „tausend Stimmen des Schweigens“ bringen lässt, wie der iranische Autor Mahmud Doulatabdi formuliert.
Ausgehend von diesem Motto widmet sich am Freitag zum Beispiel ein Konzert dem Spannungsfeld von Literatur und Musik in der Islamischen Republik. Dabei gibt es gleich zwei Uraufführungen zu hören: Das Berliner Ensemble work in progress spielt zum einen die Klangwerktage-Auftragsarbeit „Merke dir den Flug – der Vogel ist sterblich“ des in Bremen lebenden iranischen Komponisten Ali Gorji, außerdem ist ein Stück Nikolaus Gerszewskis, des diesjährigen Gewinners des Kompositionswettbewerbs, zu hören, das auf der Grundlage von Texten des vor elf Jahren verstorbenen iranischen Dichters Fereydoun Moshiri entstanden ist. Schließlich ist eine interkulturelle Arbeit des Schweizers Klaus Huber zu hören, der traditionelle Sufi-Musik mit Elektronik und europäischen Instrumenten zusammenbringt.
Der Höhepunkt ist dieses Jahr aber unbestreitbar der Besuch des einzigen iranischen Orchesters für zeitgenössische Musik. Zum Abschluss spielt das Teheraner Iranian Orchestra for Contemporary Music unter der Leitung des Komponisten Alireza Mashayekhi ein Konzert gemeinsam mit dem Hamburger ensemble Intégrales.
■ Hamburg: Do, 1. 12. bis So, 4. 12, Kampnagel, Jarrestraße 20; www.klangwerktage.de