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Archiv-Artikel

Zerstören statt ausbeuten

ROHSTOFFE Die libyschen IS-Gruppierungen haben eine neue Strategie: Sie wollen die Ölfelder vor Ort zerstören. Denn zum Kontrollieren sind sie dort zu schwach

Die Geiselnahme ist nur Nebenprodukt der Zerstörungstaktik des IS in Libyen

VON KARIM EL-GAWHARY

KAIRO taz | Die Verschleppung eines Österreichers und acht weiterer Geiseln vor ein paar Tagen von dem El-Ghani-Ölfeld in Libyen dürfte ein Nebenprodukt der neuen Taktik der militanten Islamisten sein. Denn den libyschen Dschihadisten geht es nicht primär um die Geiselnahme. Ihnen geht es auch nicht ums Öl als Ressource, mit dem sie ihren Kampf finanzieren wollen – die IS-Gruppierungen in Libyen sind zu klein, um die Anlagen langfristig militärisch zu halten. Noch dazu sind Ölfelder über ein schwer zugängliches Territorium verteilt und die Vermarktungswege kompliziert. Sie verfolgen ein anderes Ziel: Sie wollen die libyschen Ölanlagen zerstören. Denn dann können zumindest die Rivalen nicht vom Öl profitieren.

Seit Beginn des Jahres greifen die Dschihadisten immer wieder Ölanlagen in Libyen an. Ein Beispiel: der Anschlag auf das Mabruk-Ölfeld, ein libysch-französisches Joint Venture. Die IS-Kämpfer töteten 12 Menschen, nahmen sieben ausländische Arbeiter als Geiseln, unterwiesen die libyschen Arbeiter in einer Lektion über ihr Islam-Verständnis und ließen diese anschließend frei. Dann zerstörten sie die Anlage und zogen sich zu zurück.

Zehn Tage darauf griffen sie die Anlage erneut an und parallel dazu eine zweite, das Bahi-Ölfeld, ein libysch-amerikanisches Konsortium. Kurz darauf jagten sie eine Pipeline in die Luft, die das Sarir-Ölfeld mit einem Terminal am Mittelmeer verbunden hatte.

Das Management des El-Ghani-Ölfelds war also gewarnt. Laut dem philippinischen Außenamtssprecher Charles Jose, der vier Geiseln zu beklagen hat, war bereits zwei Wochen vor dem Angriff ein großer Teil der Arbeiter nach Hause geschickt worden. Warum aber waren dann noch Arbeiter dort? Und warum war das Management so schlecht auf einen Angriff vorbereitet, dass den Bewachern sogar die Munition ausging? Das sind Fragen, die sich die österreichische Betreiberfirma Vaos jetzt stellen muss.

Öl-Anlagen wurde immer wieder zu politischen Zwecken genutzt. Denn sie haben hohes Erpressungspotenzial – Öl macht 80 Prozent des libyschen Bruttosozialprodukts und 95 Prozent der Exporte des nordafrikanischen Landes aus.

Geoff Porter, Chef der Africa Risk Consulting, hat die Politisierung des Ölsektors seit dem Sturz Gaddafis untersucht. Bis 2014, so Porter, zielten die Angriffe vor allem darauf ab, eine politische Forderung durchzusetzen – so besetzte man als Miliz kurzerhand ein Ölfeld, um beispielsweise einen Minister zum Rücktritt zu bewegen.

2014 entstanden zwei Machtzentren in Libyen: die im ostlibyschen Tobruk amtierende Regierung und das in Tripolis regierende Parlament, die sich gegenseitig bekämpfen. Beide Seiten haben versucht, die Felder unter ihre Kontrolle zu bekommen. Mit der Zerstörungstaktik des IS gerät der Ölsektor nun in Gefahr, auf lange Sicht ruiniert zu werden.

Als „Mutter der Taktik“ sieht Porter den Angriff auf die Tigantourine-Gasanlage im algerischen Aménas. Mehrere Dutzend Angreifer hatten die Anlage im Januar 2013 vier Tage lang besetzt und Geiseln genommen, bevor algerische Sicherheitskräfte die Anlage stürmten. Dabei kamen mindestens 39 ausländische Arbeiter und 29 Mitglieder der militanten Gruppe ums Leben, 685 algerische Arbeiter und 107 ausländische Arbeiter konnten befreit werden.

Der Angriff wurde damals von dem Dschihadisten Mokhtar Belmokhtar für eine Al-Qaida-Gruppe geplant. Vor vier Monaten hat er eine Art Handbuch für den Angriff auf Öl- und Gasanlagen als Teil des Dschihad veröffentlicht. Im Vorwort werden die Ölgesellschaften und die Regierungen, die mit ihnen zusammenarbeiten, für die Ungerechtigkeiten in Nordafrika verantwortlich gemacht. Dann geht es darum, wie ein solcher Angriff vorzubereiten ist. Da man nicht genug Männer habe, sollten die Anlagen per Fernbedienung in die Luft gejagt werden. Geiseln sollten den Angreifern Zeit verschaffen. Aber sie garantierten nicht, dass es keine Rückeroberung gibt.

Anders als in Algerien verschleppten die Angreifer nach dem Anschlag auf das El-Ghani-Ölfeld die neun Arbeiter. Al-Qaida-nahe Gruppierungen in Nordafrika haben Geiseln meist zur Erpressung von Lösegeld genutzt. Eine IS-Gruppierung in Libyen hat die Anfang des Jahres entführten Gastarbeiter aus Ägypten vor laufender Kamera getötet. Dabei ging es aber vor allem um eine politische Botschaft an die ägyptische Regierung, die im libyschen Machtkampf involviert ist. Was IS-nahe Gruppierungen mit europäischen und asiatischen Geiseln in Libyen machen, das ist politisches Neuland.