Betreutes Denken

Philosophie trifft Politik: Frank-Walter Steinmeier will mit Jürgen Habermas über Europa reden. Aber der Außenminister hört kaum zu – er widerspricht dem Denker und lobt lieber seine eigene Arbeit

VON RONALD DÜKER

Die SPD will eine Partei der Vordenker sein und holt sich daher ab und zu gelernte Philosophen ins Haus. Das heißt dann „Philosophy meets Politics“ und findet als öffentliche Diskussionsveranstaltung statt. So zum neunten Mal am vergangenen Freitag in Berlin, über zweieinhalb sehr zähe Stunden.

Das prominent besetzte Podium: Julian Nida-Rümelin, ehemaliger Kulturstaatsminister, trifft Frank-Walter Steinmeier, Außenmininister, trifft Jürgen Habermas, Philosoph. Diskutiert wurde ein Thema, das der SPD besonders am Herzen liegt – „Europäische Perspektiven“. Oder auch: „Europapolitik in der Sackgasse?“, wie sich Steinmeier fragt. Wie aber konnte es dazu kommen?

Ein kurzer Rückblick: Es hat sich gezeigt, dass die europäische Einigung eine schwierige Angelegenheit ist. Bald dreißig Staaten wollen unter einen Hut gebracht werden, obwohl die nationalen Befindlichkeiten und Bruttosozialprodukte doch weit auseinander liegen. Neue Kandidaten sind aufzunehmen oder auch nicht, neue Märkte zu erschließen oder auch nicht. Im Jahr 2005 keimt Hoffnung auf, der europäische Konvent handelt einen Verfassungsentwurf für die EU aus. Zunächst von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet, bleibt er aber trotzdem in der Schublade; die Mehrheit der Holländer und Franzosen stimmt nämlich – wie Steinmeier findet, überraschend – gegen die Verfassung. Und dann?

Dann wird Steinmeier 2007 Ministerratspräsident. Je länger er die Zuhörer in seinen Bann zu schlagen versucht, fällt auf, wie ähnlich er seinem Mentor Schröder ist: derselbe niedersächsisch geerdete Ton, und auch wenn es an Charisma noch fehlt – die Beliebtheitsskala führt Steinmeier in dieser Woche erstmals vor der Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Der Außenminister redet wie im Wahlkampf und strukturiert seine Rede auf die eigene Person durch gekonnte Griffe in die Trickkiste des Rhetorikseminars. Um anschaulich zu machen, wie triumphal der schließlich gefundene Kompromiss nach schwieriger Debatte erscheinen muss, erinnert sich Steinmeier an den Regen, der während der Verhandlungen unaufhörlich an die Fenster geprasselt habe und daran, wie depressiv drinnen die Außenpolitiker aller Länder herumgeschlichen seien. Das also ist Politik mit menschlichem Antlitz.

Steinmeiers ganzer Stolz jedenfalls gilt dem im Oktober abgeschlossenen und unter seiner Regie vorbereiteten Reformvertrag von Lissabon. Damit will er nun vorerst zufrieden sein, auch wenn der Vertrag vor allem das Scheitern der EU-Verfassung belegt und den Staatenbund auch nicht mit ursprünglich vorgesehenen Insignien wie einem europäischen Außenminister versieht. Die Aussichten nun: „Schritt für Schritt einen europäischen Weg finden“ und durch „Politik mit Augenmaß“ an der „europäischen Baustelle“ weiterarbeiten, schließlich heißt die alles entscheidende Frage: „Können wir uns zusammen behaupten? Oder verlieren wir einzeln unseren Einfluss und unser Gesicht?“

Jürgen Habermas ist skeptischer. „Devolution“ ist an diesem Tag sein Lieblingswort. Denn wo der Vertrag von Lissabon immerhin eine Organisationsreform sei und der EU vielleicht ein „Minimum an Handlungsfreiheit“ in Aussicht stelle, bemängelt der Philosoph doch eine „Politik des Nichtentscheidens“. Auch sind ihm die Abläufe zu wenig bürgernah. „Hinter verschlossenen Türen“, so nörgelt Habermas dem pragmatischen Optimisten Steinmeier ins Stammbuch, „will die politische Klasse der europäischen Bürger entscheiden.“

Was also verschreibt der Philosoph gegen Volksferne und Entscheidungsschwäche? Plebiszite zum einen und zum andern das Vertrauen in die „älteste Demokratie auf Erden“. Denn bei aller Kritik an Bush und den Neocons – wenn es nach Habermas geht, soll sich die „Supermacht“, also Amerika, an die „Spitze einer jeden Reformbewegung setzen“. Nur so könne echte „Weltinnenpolitik“ aussehen.

Das also ist das Lernziel des SPD-Seminars: Der Philosoph bekennt sich zu Amerika. Und wirft damit die ungeklärte Frage auf, worin denn überhaupt der Unterschied zwischen intellektueller Vision und tagespolitischem Pragmatismus bestehen soll. Vielleicht hat Habermas aber Recht, wenn er mit einem Blick ins Publikum bemerkt, man würde anders reden, wenn nicht so viele Journalisten und sogar Herausgeber dasäßen.

Trotz der zähen Diskussion schreiben alle fleißig mit. „Philosophy meets Politics.“ Das ist ein Widerspruch in sich: die Bühnenfassung ansonsten konspirativer Politikberatung zum Zweck der Parteiwerbung. Tag der offenen Tür in der Denkfabrik.