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Archiv-Artikel

Aus dem Leben eines Tastenfickers

AUTOBIOGRAFIE Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz hat jetzt ein Buch über sein Leben geschrieben – es ist witzig, berührend und ein Kunststück schon deswegen, weil er Rammstein darin nie namentlich erwähnt

Der Buchuntertitel „An was ich mich so erinnern kann“ ist denn auch nicht als Einstieg ins Rockstar-Anekdotenlatein gemeint, sondern ernst: „Es gibt ja ganz viele Vergangenheiten, nicht nur meine eigene“

VON GUNNAR LEUE

Es hätte auch alles ganz anders kommen können im Leben von Christian Lorenz, genannt Flake. Er hätte zum Beispiel, wie erträumt, Chirurg werden können, aber gute Schulnoten waren halt nicht alles in der DDR. Er hätte Militärmusiker werden können, lehnte das Angebot bei der Musterung aber ab, weil er sich dann für fünf Jahre hätte verpflichten müssen, wo er doch überhaupt nicht zur Armee wollte. Er hätte auch 1990 Abgeordneter im Roten Rathaus werden können, wenn er als Kandidat der Anarcho-Partei Die Wydoks in Marzahn gewählt worden wäre. Ist er aber alles nicht geworden, sondern stattdessen – als Mitglied von Rammstein – Deutschlands weltbekanntester Keyboarder. Oder wie er selbst sagt: Tastenficker. Wohl um dieses schöne alte Ostwort vor dem Vergessen zu bewahren, hat er auch sein jetzt erscheinendes Buch so genannt.

In dem stellt Flake erst mal klar, dass er keine Musikerbiografien mag und auch kein spektakuläres Leben führt. Dieser frohgemuten Einleitung folgt eine Alltagsabenteuergeschichte, die dem Aufschreiber selbst komisch vorkommt. „Eigentlich bin ich bis heute zwiegespalten, wie ich das alles finden soll“, sagt er.

Scheitern und Glück

„Der Tastenficker“ ist eine rückwärts, seitwärts, vorwärts gewandte Lebensbetrachtung eines Menschen, der halt Musiker ist, vor allem aber Träumer und Schiefdenker. Witzig, berührend und zuweilen simplicissimushaft erzählt der Urberliner aus Prenzlauer Berg über sein Wollen, Verweigern, Scheitern und Glück. Der Buchuntertitel „An was ich mich so erinnern kann“ ist denn auch nicht als Einstieg ins typische Rockstar-Anekdotenlatein gemeint, sondern ernst: „Es gibt ja ganz viele Vergangenheiten, nicht nur meine eigene.“ Und Flake erzählt eben nur von seiner eigenen.

Das zu erwähnen ist (ihm) wichtig, weil sich einige Leute nach Lektüre des Buches bemüßigt fühlen dürften, die Ostalgiekeule rauszuholen. Vor allem die Amtsträger, die sich immer ganz doll wünschen, dass auch der letzte Ex-DDRler endlich in der Bundesrepublik ankommen möge. Flake aber vermittelt weder im Buch noch im Gespräch den Eindruck, als würde er gern ein BRD-Ankömmling sein.

Das liegt an der BRD, wie er zur BRD sagt, aber auch an der DDR, die er nicht aus seinem Kopf kriegt und die es für Flake nicht verdient hat, als völlig blöd hingestellt zu werden, bloß weil die Regierenden super spießig und peinlich waren und die Stasi die Totalkontrolle suchte, auch über ihn. Der ganze Schwachsinn in seiner Akte – „sollten sie das doch aufschreiben“, sagt er, „mein Leben betraf es nicht“.

Wenn er das heute offiziöse DDR-Bild nicht nachmalen will, dann hat das mit Trotz („Ich habe es eben anders erlebt“) und derselben Mir-doch-egal-Haltung zu tun, mit der er sich so lässig neben der Spur durch die DDR-Verhältnisse treiben ließ. Flake ist alles andere als ein Denkfauler. Den Sozialismus findet der 48-Jährige nach wie vor ein besseres Gesellschaftsmodell als den Kapitalismus, weil er dessen abgefuckte Seite häufig genug sieht, zum Beispiel auf Stadtspaziergängen durch Nebenstraßen und Dreckecken dieser Welt, wenn er mit Rammstein unterwegs ist. Da fühlt er sich bestärkt, „dass wir hierzulande in einer absurden Wohlstandswelt leben“.

In der hat er sich, zusammen mit einem Kompagnon, auch mit einer Oldtimer-Vermietung versucht. In seinem Buch beschreibt Flake, wie er damit scheiterte – was er im Nachhinein eher als folgerichtig sieht. Im Kalkulieren war er nie gut, umso besser darin, sich seine eigene Welt aufzubauen. Als schüchterner, oft gehänselter Junge mit Stotterproblemen träumte er sich früh in die Musik (Blues), ehe er als Tastenmann der Band Feeling B. mit viel Spaß und ohne Wut Punkmusik machte. Party, Alkohol (von dem er jetzt weg ist) und null Bock auf den Westen, weil er seine ausgereisten Kumpel dort als unglücklich empfand – als geldsorgenfreies Abenteuerland mochte er die DDR nicht missen. Besser gesagt, die DDR der Wendezeit, weshalb er sie ja mit der Wydoks-Partei gegen den Ausverkauf an den Westen verteidigen wollte.

Ein paar Jahre zog Flake noch mit Feeling B durch die neue Zeit, bis er 1994 Rammstein mitgründete, was man vielleicht auch als eine Art Kapitulation vor den Verhältnissen sehen kann. Wenn schon im Unterhaltungskapitalismus leben, dann auch professionell auf seiner Klaviatur spielen und dem Affen richtig Zucker geben. Im Rammstein-Kollektiv fühlt er sich ausgesprochen wohl, vom Erfolg der Band blenden lässt sich ihr Tastenficker jedoch nicht. An einer Stelle schreibt er sogar, dass seine Band – die er im Buch namentlich nie erwähnt – eine „gigantische peinliche Schmierenkomödie“ sei, so im Vergleich zu den White Stripes. Oh ha! Flake ist wirklich ein Rockstar der besonderen Art. Eine Botschaft an die Leserschaft hat er gleichwohl: „Ich finde, dass es im Leben nicht unbedingt wichtig ist, der Beste zu sein, sondern dass man auch einfach vor sich hin leben und ein glückliches Leben führen kann.“

■ „Flake: Der Tastenficker. An was ich mich so erinnern kann“. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 19,99 Euro.

■ Am Dienstag, 17. März, stellt Flake sein Buch bei Hugendubel, Schloßstraße 109–110a, vor. 20.15 Uhr, 7/5 Euro