: Respekt für Bruder Hahn
KÜKENMASSAKER Männliche Küken gelten als Sondermüll: Sie werden vergast oder lebendig geschreddert. Die Bruderhahn-Initiative will das ändern – mit Hilfe der Verbraucher
VON ANNA KOLTERMANN
Zuerst ist die Henne, dann kommt das Ei. Doch aus dem Ei kriechen nicht nur Hennen, sondern auch Hähne, und die legen keine Eier. Die Brüder der Legehennen sind jedoch auch nicht die vorteilhafteste Rasse zur Fleischgewinnung, denn ihre Brustmuskeln sind zu klein. In einem modernen Legehennen-Betrieb sind männliche Küken deswegen überflüssig, und das kommt einem Todesurteil gleich: die Hähnchen in spe werden direkt nach dem Schlüpfen vergast oder lebend geschreddert. Mehr als 36 Millionen Legehennen-Brüder wandern auf diese Art jährlich in den Müll.
„Das Töten der männlichen Küken ist ein Thema, das auch der Naturkostbranche schon lange auf den Nägeln brennt“, so Matthias Deppe, Geschäftsführer von Naturkost Nord – einem Großhandel für Lebensmittel aus ökologischem Anbau. Matthias Deppe ist einer von vier Mitinitiatoren der 2012 gegründeten Bruderhahninitiative Deutschland (BID), die sich gegen das „nutzlose Töten“ wehrt. Fragt man Matthias Deppe, wie die Idee dieser Initiative aufkam, erzählt er von seinen zwei Mitstreitern, dem Landwirt Carsten Bauck und dem Naturkost-Kollegen Herrmann Heldberg. Die beiden wurden sich in einer Diskussion über Tierwohlethik darüber einig, dass der Gedanke von Ganzheitlichkeit und die Tötung von Küken nicht zusammengingen. Heldberg war sich sicher, dass das Retten der sogenannten Bruderhähne vermarktbar sein müsse.
„Dann ist da so ein Modell entstanden“, so Deppe, „als Brückenlösung.“ Denn eigentlich wolle man mit der BID die Züchtung von Zweinutzungshühnern vorantreiben. Sprich: eine Rasse züchten, die sich sowohl zum Lege- als auch zum Masthuhn eigne. Aber Züchtungsforschung brauche Zeit und vor allem Geld. „Wir wollten jetzt was tun, etwas Konkretes“, sagt Deppe.
Nicht nur die BID hat sich gegen das Töten der männlichen Küken ausgesprochen. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hatte im Herbst 2013 unter dem grünen Verbraucherschutzminister Johannes Remmel ein Verbot dieser Praxis erlassen. Anfang 2015 wurde jedoch nach Klagen seitens der betroffenen Brütereien vom Verwaltungsgericht Minden entschieden, dass das Verbot nicht gerechtfertigt sei. Zum einen fehle eine bundesweite Gesetzesgrundlage zum Tierschutz, zum anderen stelle das Verbot einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Betreiber dar. Die Brütereien würden – zum Standortnachteil NRWs – einfach in andere Bundesländer oder ins Ausland verlegt.
Auch aus Sicht von Matthias Deppe ist das Verbot in einem Bundesland nicht sinnvoll: „Es wäre auch nur eine Insellösung. Das Problem würde sich nur verlagern.“ Das Ziel der BID aber sei es, eine Lösung zu finden, und zwar vor Ort. „Wir haben durch unsere Initiative die Politik auf die Möglichkeit einer Lösung hingewiesen.“ Die BID sieht die Lösung in der Generierung von Ethikbewusstsein. Deppe erklärt das folgendermaßen: „Die Verbraucher müssten weg von dem Gedanken ‚wie komme ich am günstigsten an Lebensmittel‘ hin zu ‚wie kriege ich eine ganzheitliche Qualität‘.“ Darum lautet der BID-Werbeslogan: „4 Cent für die Ethik“. Für die Eier der Schwestern zahlt der Verbraucher einige Cent mehr, dafür werden die männlichen Küken nicht getötet, sondern in Biofreilandhaltung um die 20 Wochen großgezogen. Diese Länge der Mastdauer ist verglichen mit anderen Hühnerrassen, die in 35 Tagen zu schlachtbereiten Tieren gemästet werden, wirtschaftlich ineffizient, doch durch den Aufpreis der Eier möglich.
Fragt man Deppe, ob die BID eine anthroposophische Initiative sei, lacht er herzlich. „Die BID ist nicht direkt anthroposophisch oder biodynamisch. Viele Partner der Initiative haben einen anderen Ansatz.“ Er spricht nun etwas vorsichtiger weiter. „Aber wenn man genau hinguckt, sieht man den ganzheitlichen Blick bei der Idee der BID. Man kann eine gewisse Parallelität sehen.“ Dennoch, betont er, sei es kein Kreis von Anthroposophen gewesen. „Die Idee entstand eher aus einer normalen Ethik heraus.“
Auf Nachfrage, was eine normale Ethik denn sei, antwortet Deppe mit scherzhaftem Unterton: „Na, eine normale Ethik eben.“ Die scheint beim Kunden gut anzukommen. Die Nachfrage ist größer als das Angebot. Auch das Feedback von Verbrauchern fällt positiv aus. „Wir erhalten fünf bis zehn Anfragen wöchentlich. Einige wollen wissen, wo sie die BID-zertifizierten Eier kaufen können, andere fragen nach dem Zusammenhang zwischen Ei und Fleisch.“