Gesichter ohne Antwort

FOTOGRAFIE Ute und Werner Mahler blicken vorurteilslos auf „Monalisen der Vorstädte“. Ihre Porträts sind in der Galerie Dittrich & Schlechtriem zu sehen

Ein beliebter Vorwurf an die Vorstadt ist der, sie sei charakterlos. Ein Vorstadtfreund wie der Autor Wilhelm Genazino beschreibt diese zentrumsfernen Orte als fortschrittsresistent und eigentlich nur mit sich selbst identisch: „Mit der Vorstadt hat niemand etwas vor; sie wird immer nur hingenommen, sie ist nicht zu beseitigen.“ Stimmt es also, dass man die Vorstadt nur als notwendige Bedingung akzeptiert, weil man das Zentrum braucht? Und was geschieht, wenn sich zwei gestandene Fotografen aufmachen, die moderne Mona Lisa am Stadtrand zu suchen? Handelt es sich bei dem Beharren auf dem Besonderen im Banalen schon um Vorstadtromantik?

Romantisch oder verklärend wirken die rund dreißig Fotografien von Ute und Werner Mahler nicht, die man derzeit in der Galerie Dittrich & Schlechtriem in der Tucholskystraße betrachten kann. Auch nicht reißerisch im Sinne einer sozialdokumentarischen Anklage. Anders als etwa den Vorstadtjugend-Bildern ihres jüngeren Kollegen Tobias Zielony fehlt ihnen auch jede Düsterkeit und der Eindruck von Unberechenbarkeit. Dafür sind sie einfach zu gut ausgeleuchtet. Es ist eher der sympathisierende Blick auf den Alltag, gemischt mit der Neugier auf jene, die da gerade erwachsen werden. Die Mahlers interessieren sich offensichtlich nicht für die Gruppe in Hoodies, die sich abends an der Tanke oder auf Parkplätzen trifft. Es ist die Einzelne, der sie ihre ganze fotografische Aufmerksamkeit widmen. Weil sie das Gesicht ihrer Modelle betonen, laufen auch die jugendlichen Dresscodes eher nur am Rande mit.

Für ihr Mona-Lisa-Projekt sind die beiden Ostkreuz-Fotografen drei Jahre lang kreuz und quer durch Europa gefahren, um an den Stadträndern von Berlin, Reykjavík, Liverpool, Minsk und Florenz ihre Models zu finden. Dabei ging es nicht um einen Mona-Lisa-Ähnlichkeitswettbewerb, sondern um eine Idee des Porträts: „Es ist dieses Gesicht, in das man endlos schauen kann, ohne doch jemals wirklich eine Antwort zu bekommen“, sagt Ute Mahler. „Man fragt sich: Was ist das für ein Ausdruck? Das, was man sieht, hängt von der eigenen Tagesform ab. Es ist diese Offenheit, die uns an diesem Bild interessiert hat.“ Die angesprochenen Frauen baten sie, die Mona-Lisa-Pose einzunehmen, ohne ihnen das Gemälde von da Vinci noch einmal zu zeigen – es handelt sich also um eine erinnerte Pose.

Heute, wo Street-Style-Blogger in Echtzeit ihre Bilder von der Straße rund um die Uhr ins Netz laden, wirkt der Ansatz der beiden Fotografen geradezu altmodisch. Zum Projekt gehörte auch das bewusste Setzen auf Langsamkeit: Ute und Werner Mahler fotografierten nicht mit der Digitalkamera, sondern mit einer schweren Plattenkamera auf einem Stativ, den Kopf unter einem schwarzen Tuch. Ihr Gegenüber musste auf einem Hocker aus dem Fotoatelier Platz nehmen, eine Kopfstütze sorgte für Unbeweglichkeit. „Nachdem wir entschieden hatten, wie wir es machen, hatten wir auch als Fotografen nur noch wenig Bewegungsfreiheit“, sagt Werner Mahler. „Uns war klar: Wir nehmen immer die gleiche Kamera, immer das gleiche Objektiv, versuchen, das Licht nicht so vordergründig werden zu lassen, was oft schwierig ist.“ So ist eine Serie entstanden, die auf das Leben in der Vorstadt nicht herabschaut, es aber auch nicht romantisiert. Es ist eine Begegnung auf Augenhöhe. KITO NEDO

■ Bis 7. Januar, Tucholskystraße 38, Mitte